Kristin Lavranstochter 1
hierher. Oh, so würde sie also ihre Mutter um Verzeihung bitten dürfen für alles, was sie an ihr verbrochen hatte - ihre eigene Mutter würde sie stützen, sie würde vor den Knien ihrer eigenen Mutter knien dürfen, wenn sie das Kind gebar. Die Mutter
* Die Frauen gebaren auf dem Fußboden kniend.
kommt, die Mutter kommt - Kristin schluchzte befreit in ihre Hände. Ja, Mutter, verzeih mir, Mutter.
Der Gedanke, daß die Mutter zu ihr unterwegs sei, setzte sich in Kristin so fest, daß sie eines Tages zu fühlen glaubte, heute käme die Mutter. Und gegen den Vormittag zu nahm sie den Umhang über und ging hinaus, um ihr auf dem Weg, der vom Gaultal nach Skaun führte, zu begegnen. Niemand beachtete, daß sie den Hof verließ.
Erlend hatte zur Ausbesserung der Häuser Stämme herschaffen lassen, der Weg war also gut, trotzdem fiel ihr das Gehen schwer: sie wurde atemlos, bekam Herzklopfen und Schmerzen in den Seiten; nachdem sie eine Weile gegangen war, war es ihr, als sollte die gespannte Haut zerbersten. Und der größte Teil des Weges führte durch dichten Wald. Sie fürchtete sich wohl - man hatte jedoch in diesem Winter nichts von den Wölfen im Tal verspürt. Und Gott würde sie wohl beschützen, sie, die dahinging, um ihrer Mutter zu begegnen, vor ihr niederzufallen und sie um Verzeihung zu bitten - und sie konnte nicht aufhören zu gehen.
Sie gelangte bis zu einem kleinen See, an dem einige kleine Höfe lagen. Dort, wo der Weg aufs Eis hinausführte, ließ sie sich auf einem gefällten Baumstamm nieder - saß eine Weile, ging ein wenig hin und her, wenn sie fror, und wartete viele Stunden lang. Aber schließlich mußte sie wieder heimkehren.
Am Tage darauf wanderte sie denselben Weg. Aber als sie über den Hofplatz eines der kleine Höfe am See ging, kam ihr die Bäuerin dort nachgelaufen.
„Um Gottes willen, du darfst das nicht!“
Als Kristin dies hörte, erschrak sie so sehr, daß sie sich nicht mehr vom Fleck zu rühren vermochte - bebend, mit schreckerfüllten Augen sah sie die Bäuerin an.
„Durch den Wald, denk doch, wenn die Wölfe dich witterten. Auch anderes Böses könnte über dich kommen - wie kannst du nur etwas so Unsinniges tun!“
Die Bäuerin umschlang die junge Frau mit dem Arm und stützte sie - blickte ihr in das magere gelbweiße und braungefleckte Gesicht.
„Du mußt zu uns hereinkommen und dich ein wenig ausruhen - dann werden wir dich heimbegleiten, jemand von hier“, sagte die Frau des Bauern und zog sie mit sich.
Es war ein kleines und ärmliches Haus, und drinnen war es sehr unordentlich, eine Menge kleiner Kinder spielte auf dem Boden. Die Mutter schickte sie ins Küchenhaus hinüber, nahm dem Gast den Umhang ab, führte ihn zur Bank und zog ihm die Schuhe aus, an denen der Schnee haftete. Dann hüllte sie ein Fell um Kristins Füße.
Sosehr auch Kristin die Bäuerin bat, sich nicht so viele Umstände zu machen, tischte diese doch zu essen auf und brachte Bier aus der Weihnachtstonne. Währenddessen dachte die Bäuerin, wie schlecht auf Husaby doch alles bestellt sei! Sie selbst war die Frau eines armen Mannes, hatte wenig Hilfe auf dem Hof gehabt, ja meistens gar keine, nie aber hatte Öistein es geduldet, daß sie ohne Begleitung die Eingrenzung des Hofes überschritt in der Zeit, in der sie ein Kind erwartete, ja wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit auch nur in den Stall hinüber sollte, mußte jemand in ihrer Nähe sein. Aber die reichste Frau in der Gemeinde durfte hingehen und sich dem ärgsten Tod aussetzen, und nicht eine christliche Seele gab auf sie acht - obwohl das Gesinde auf Husaby einander auf die Füße trat und nichts arbeitete. Es war doch wohl so, wie die Leute sagten, daß Erlend Nikulaussohn seine Heirat bereits • bereute und gleichgültig gegen die Frau war.
Aber sie redete die ganze Zeit mit Kristin und nötigte sie, zu essen und zu trinken. Kristin schämte sich förmlich, aber sie bekam solche Lust, zu essen, wie sie schon - ja, seit dem Frühjahr nicht mehr gehabt hatte; die Speisen dieser freundlichen Frau schmeckten so gut. Und die Bäuerin lachte und sagte, die Frauen der Großen seien wohl auch nicht anders geschaffen als andere. Während man daheim das Essen nicht ansehen könne, sei man doch oft ganz gierig nach fremder Kost, selbst wenn sie derb und ärmlich sei.
Sie heiße Audfinna Audunstochter und sei von Updal, sagte sie, und als sie merkte, daß sich ihr Gast dadurch heimischer fühlte, fuhr sie fort, von ihrem Heim und
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