Kristin Lavranstochter 1
sich in der Dunkelheit über sie.
„Oh, es wird jetzt wohl nicht mehr länger als eine Woche dauern", flüsterte Kristin und lachte unsicher. Als er sein Gesicht auf das ihre hinabsenkte, schlang sie die Arme um seinen Hals und gab den Kuß heftig zurück.
„Dies ist das erstemal, daß du mich wieder um den Hals nimmst, seit ich dich schlug“, sagte Erlend leise. „Lange trägst du nach, meine Kristin ...“
Es durchlief sie der Gedanke, dies sei seit jenem Abend, da er ihren Zustand bemerkt hatte, das erstemal, daß sie es wagte, ihn zu liebkosen, ohne von ihm darum gebeten worden zu sein.
Aber von diesem Tage an war Erlend so freundlich zu ihr, daß Kristin jeden Augenblick bereute, den sie ihm gegrollt hatte.
4
Die Gregorsmesse (13. Februar) kam und ging. Kristin hatte sicher geglaubt, dies sei die äußerste Frist für sie. Jetzt aber kam schon bald die Marienmesse (25. März) in der Fastenzeit, und sie war immer noch auf.
Erlend mußte nach Nidaros zum Mittfastenthing; er glaubte sicher, bis zum Montagabend wieder daheim sein zu können, aber es wurde Mittwoch früh, und er war immer noch nicht heimgekehrt. Kristin saß in der Halle und wußte nicht, was sie tun sollte; es war, als habe sie nicht die Kraft, irgend etwas anzufangen.
Sonnenlicht strömte durch das Rauchloch herab - sie fühlte, wie es heute draußen ganz frühlingshaft sein mußte. Da erhob sie sich und warf einen Umhang über.
Sollte eine Frau ein Kind zu lange tragen, wäre es ein gutes Gegenmittel, wenn sie das Brautpferd Getreide aus ihrem Schoß fressen ließe, hatte eine der Mägde erzählt. Kristin stand eine Weile unter der Stubentür: in dem blendenden Sonnenschein lag der Hofplatz ganz braun da, mit glitzernden Wasserbächen, die blanke Eisstreifen in den Pferdemist und Schmutz wuschen. Der Himmel spannte sich seidenblau und glänzend über den alten Häusern aus, die beiden Schiffsköpfe auf dem Dach des östlichen Vorratshauses leuchteten heute mit einem Rest alter Vergoldung in der Luft. Das Wasser troff und rann von den Dächern, und der Rauch wirbelte und tanzte unter kleinen lauen Windstößen.
Kristin ging zum Stall hinüber und trat ein, füllte ihren geschürzten Rock an der Truhe mit Hafer. Der Stallgeruch und die Geräusche der Pferde, die sich in der Dunkelheit bewegten, taten ihr gut. Aber es waren Leute im Stall. Da schämte sie sich, das zu tun, weshalb sie gekommen war.
Sie ging hinaus und warf das Korn den Hühnern vor, die auf dem Hofplatz umhertrippelten und sich sonnten. Gedankenverloren sah sie Tore, dem Pferdeknecht, zu, der den grauen
Wallach striegelte und putzte - der Gaul haarte stark. Von Zeit zu Zeit schloß sie die Augen und wandte ihr welkes stubenblasses Gesicht dem Sonnenschein zu.
So stand sie, als drei Männer auf den Hof einritten. Der vorderste war ein junger Priester, den sie nicht kannte. Sowie er sie gewahr wurde, sprang er aus dem Sattel und ging mit ausgestreckter Hand geradeswegs auf sie zu.
„Gewiß hattet Ihr mir diese Ehre nicht zugedacht, Fraue, daß Ihr hier stehen und mich empfangen wolltet“, sagte er lächelnd. „Aber ich muß dennoch dafür danken. Denn Ihr seid doch sicherlich die Gemahlin meines Bruders, Kristin Lavranstochter?"
„Da seid Ihr wohl Meister Gunnulv, mein Schwager?“ erwiderte sie flammend rot. „Gott zum Gruß, Herr! Und willkommen daheim auf Husaby!“
„Dank für den guten Gruß“, sagte der Geistliche; er beugte sich herab und küßte ihre Wange; sie wußte, daß dies im Ausland der Brauch war, wenn Verwandte einander begegneten. „Glück mit Euch, Erlends Gemahlin!“
Ulv Haldorssohn kam heraus und hieß einen Knecht, die Pferde der Fremden zu versorgen. Gunnulv begrüßte Ulv herzlich.
„Bist du hier, Verwandter? Ich hatte die Kunde erwartet, daß du jetzt verheiratet und ansässig geworden seiest.“
„Nein, ich heirate nicht, es sei denn, ich müßte zwischen Weib und Galgen wählen“, erwiderte Ulv und lachte, und der Priester lachte ebenfalls. „Ich habe dem Teufel so fest gelobt, unverheiratet zu bleiben, wie du das gleiche Gott versprochen hast.“
„Ja, da wärst du also geborgen, nach welcher Seite du dich auch wendest, Ulv“, antwortete Meister Gunnulv lächelnd. „Denn an dem Tag, an dem du das Versprechen, das du dem Leibhaftigen gegeben hast, brichst, tust du gut daran. Aber wiederum heißt es doch auch, ein Mann soll sein Wort halten, und wäre es dem Teufel selbst gegenüber. - Ist ErIend nicht daheim?“
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