Kristin Lavranstochter 1
verstehen gelernt hat, was diese über seine Seele bringt - und in die Gemeinschaft von reinen Jungfrauen aufgenommen, die sich hingegeben haben, für jene zu wachen und zu beten, die draußen in der Welt schlafen . .. Wollte Gott, es wäre bald Sommer“, unterbrach sich der Priester plötzlich und stand auf.
Die beiden anderen sahen ihn erstaunt an.
„Ja, ich muß an den Kuckuck daheim morgens auf den Hängen von Husaby denken. Wir hörten ihn stets zuerst im Osten, von der Anhöhe hinter den Häusern, und dann kam die Antwort weit drüben aus dem Wald rings um By; es klang in der Morgenstille so schön über den See hin. Dünkt es dich nicht schön auf Husaby, Kristin?“
„Wenn der Kuckuck im Osten schreit, ist’s zum Weinen nicht mehr weit“, sagte Orm Erlendssohn leise. „Mich dünkt Husaby der allerschönste Hof in der Welt.“
Einen Augenblick lang legte der Priester die Hände auf die schmalen Schultern des Brudersohnes.
„So dachte auch ich, Verwandter. Es war auch für mich der väterliche Hof. Der jüngste Sohn steht dem Erbe nicht näher als du, mein Orm!“
„Als der Vater mit meiner Mutter lebte, standest du der Erbschaft am nächsten“, sagte der Junge ebenso leise.
„Wir können nichts dafür, ich und meine Kinder, Orm“, sagte Kristin bekümmert.
„Du hast ja wohl auch bemerkt, daß ich keinen Groll gegen euch hege“, entgegnete jener still.
„Es ist doch solch breites und offenes Tal“, sagte Kristin nach einer Weile. „Man hat einen so weiten Blick von Husaby aus, und der Himmel ist so - so weit. Dort, wo ich her bin, ist der Himmel gleichsam wie ein Dach dicht über den Bergen. Das Tal liegt so rund und grün und frisch unten im Schutz der Bergwände. Die Welt ist so handlich - nicht zu groß und nicht zu eng.“ Sie seufzte und bewegte die Hände in ihrem Schoß.
„Der Mann, mit dem dein Vater dich verheiraten wollte, hatte wohl dort sein Heim?“ fragte der Priester, und Kristin nickte. „Bist du manchmal traurig, weil du nicht ihn bekamst?“ fragte er wieder.
Sie schüttelte den Kopf.
Gunnulv ging hin und nahm ein Buch aus dem Gestell. Dann setzte er sich wieder beim Feuer nieder, öffnete die Schließen und wendete suchend die Blätter um. Er las jedoch nicht, sondern saß mit dem aufgeschlagenen Buch auf den Knien da.
„Als Adam und sein Weib Gottes Willen getrotzt hatten, da fühlten sie in ihrem eigenen Fleisch eine Kraft, die ihrem Willen trotzte. Gott hatte sie geschaffen, Mann und Weib, jung und schön, auf daß sie miteinander leben und Erben zeugen sollten für die Gaben seiner Güte, die Lieblichkeit des Paradiesgartens, die Frucht vom Baum des Lebens und die ewige Seligkeit. Sie brauchten sich ihrer Gestalt nicht zu schämen, denn solange sie Gott gehorsam waren, blieb ihr ganzer Körper mit allen seinen Gliedern ihrem Willen untertan, so wie Hand und Fuß es sind.“
Blutrot preßte Kristin die gefalteten Hände unter der Brust zusammen. Der Priester beugte sich ein wenig zu ihr vor; sie fühlte seine starken hellbraunen Augen auf ihrem gesenkten Gesicht.
„Eva raubte das, was Gott gehörte, und ihr Gemahl nahm es an, als sie ihm gab, was mit Recht ihres Vaters und Schöpfers Eigentum war. Jetzt würden sie ihm gleich sein - da merkten sie, daß sie zunächst ihm in diesem gleich wurden: so, wie sie seine Herrschaft in der großen Welt verraten hatten, so war nun ihre Herrschaft über die kleine Welt, über das fleischliche Haus der Seele, verraten. Wie sie ihren Herrn und Gott verraten hatten, so verriet nun der Körper seinen Herrn, die Seele.
Da schienen ihnen diese Körper so häßlich und hassenswert, daß sie sich Kleider machten, um sie zu verbergen. Zuerst nur eine kurze Schürze aus Feigenlaub. Aber je mehr sie das Wesen ihrer eigenen fleischlichen Natur kennenlernten, desto höher machten sie die Kleider bis über die Stelle, wo das Herz sitzt, und über den Rücken, der unwillig ist, sich zu beugen. Ganz bis in diese letzten Tage hinein, da die Männer selbst noch das äußerste Glied der Finger und Zehen in Stahl kleiden und ihr Antlitz hinter dem Helmgitter verbergen - so sind Unfrieden und Verrat in der Welt gewachsen.“
„Hilf mir, Gunnulv“, bat Kristin. Sie war bis in die Lippen hinein weiß. „Ich - kenne meinen eigenen Willen nicht.“
„So sage: Dein Wille geschehe“, erwiderte der Priester leise. „Du weißt, sein Wille soll geschehen, damit du dein Herz seiner Liebe öffnest. Da mußt du ihn wieder lieben aus der
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