Kristin Lavranstochter 1
Um die Zeit des carne vale werden dort Rennen abgehalten - man läßt wilde arabische Pferde um die Wette laufen.“
Der Priester saß eine Weile, dann begann er wieder:
„Dieser Herr Ermes hatte eine Verwandte bei sich im Hause. Isota hieß sie, und sie hätte Isodd, die Blonde, selbst heißen können. Ihre Haut und ihr Haar waren fast wie Honig, ihre Augen jedoch waren sicherlich schwarz. Ich sah sie einige Male an einem Fenster.
Aber außerhalb der Stadt ist das Land öder als die ödesten Höhen hier im Lande, wo nur Renntiere und Wölfe hausen und wo der Adler schreit. Trotzdem sind dort in den Bergen ringsum Städte und Kastelle, und draußen auf den grünen Ebenen sieht man überall Spuren davon, daß früher einmal Menschen dort gewohnt haben, nun weiden da große Herden von Schafen und Scharen weißer Rinder. Die Hirten sind beritten und führen lange Spieße. Sie sind ein gefährliches Volk, sie erschlagen und berauben die Wanderer und verscharren die Leichen in Erdhöhlen.
Aber draußen auf diesen grünen Ebenen liegen die Pilgerkirchen.“
Meister Gunnulv schwieg eine Weile.
„Vielleicht erscheint uns dieses Land deshalb so unsagbar öde, weil dort jene Stadt liegt, die einstmals Königin über die ganze heidnische Welt war und Christi Braut wurde. Nun aber haben die Wächter die Stadt verlassen, und in dem tollen Festlärm wirkt der Ort wie eine verlassene Frau. Die Wüstlinge haben sich der herrenlosen Burg bemächtigt, und sie haben die Frau dazu verführt, an Lust und Blutvergießen und Unfrieden teilzunehmen.
Aber unter der Erde gibt es Herrlichkeiten, kostbarer als alle Herrlichkeiten, darauf die Sonne scheint. Dort sind die Gräber der heiligen Märtyrer, in das harte Gestein gehauen - und dort sind ihrer so viele, daß einem bei dem Gedanken daran schwindelt. Wenn man an die große Zahl dieser Märtyrer denkt, die hier um Christi willen den Tod erlitten haben, dann will einem jedes Staubkorn, das die Hufe der Pferde jener Wüstlinge aufwirbeln, heilig und anbetungswürdig erscheinen.“ Der Priester zog eine dünne Kette unter dem Gewand hervor und öffnete das daran hängende kleine Silberkreuz. Darin lag etwas Schwarzes, ähnlich einem Stück Baumschwamm, und ein kleiner grünlicher Knochen.
„Einmal waren wir den ganzen Tag unten in diesen Gängen gewesen und hatten unsere Gebete in Höhlen und Oratorien gesprochen, wo einst die ersten Jünger von Sankt Peter und Sankt Paul zur Messe zusammenkamen. Da gaben uns die Mönche diese Heiligtümer. Denn ihnen gehörte die Kirche, unter die wir hinabgestiegen waren. Dies ist ein Stückchen eines Schwammes, wie ihn die frommen Jungfrauen gebrauchten, um das Märtyrerblut aufzutrocknen, auf daß es nicht verlorengehe, und dies ist der Fingerknöchel eines heiligen Mannes, dessen Namen nur Gott allein weiß. Da gelobten wir vier einander, jeden Tag diesen Heiligen, dessen Ehre den Menschen unbekannt ist, anzurufen. Und wir wählten den namenlosen Märtyrer zum Zeugen dafür, daß wir nie vergessen wollten, wie wir des Lohnes Gottes und der Ehre der Menschen so völlig unwürdig seien, und daß wir uns stets erinnern wollten, wie nichts in der Welt des Begehrens wert sei außer Gottes Barmherzigkeit.“ Kristin küßte das Kreuz ehrerbietig und gab es Orm, der desgleichen tat. Da sagte Gunnulv plötzlich:
„Ich will dir dieses Heiligtum schenken, Verwandter.“
Orm ließ sich auf ein Knie nieder und küßte die Hand des Oheims. Gunnulv legte die Kette mit dem Kreuz dem Knaben um den Hals.
„Fühlst du nicht Lust in dir, diese Stätten zu sehen, Orm?“
Die Gesichtszüge des Knaben hellten sich zu einem Lächeln auf.
„Ja, das weiß ich bestimmt, ich werde einmal dorthin kommen.“
„Hast du nie den Drang in dir gefühlt, Priester zu werden?“ fragte der Oheim.
„Doch“, antwortete der Knabe. „Immer wenn der Vater diese meine schwachen Arme verwünschte. Aber ich weiß nicht, ob es ihm recht wäre, wenn ich Priester würde. Dann ist auch noch das andere, was du ja weißt“, fuhr er leise fort.
„Für deine Geburt kann wohl Dispens beschafft werden“, erwiderte der Priester ruhig. „Vielleicht, Orm, können wir einmal miteinander nach dem Süden ziehen, du und ich.“
„Erzähl noch mehr, Oheim“, bat Orm leise.
„Ja, das will ich.“ Gunnulv umfaßte die Armlehne des Stuhles und blickte ins Feuer.
„Während ich dort wanderte und nichts anderes sah als die Erinnerungen an die Märtyrer, und indessen ich der
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