Kristin Lavranstochter 1
unzähligen Qualen gedachte, die jene um Jesu Namen willen ertragen hatten, kam eine schwere Versuchung über mich. Ich dachte daran, daß der Herr nur einige Stunden lang ans Kreuz genagelt war. Doch seine Nachfolger waren viele Tage lang mit unausdenkbaren Qualen gepeinigt worden - Frauen mußten Zusehen, wie ihre Kinder vor ihren Augen zu Tode gequält wurden, zarten Jungfrauen wurde das Fleisch mit eisernen Kämmen von den Knochen gekämmt, junge Männer wurden Raubtieren und wilden Stieren entgegengetrieben. Da wollte es mir scheinen, als hätten viele von diesen mehr ertragen als Christus selbst.
Ich grübelte hierüber nach, bis ich glaubte, es müsse mir Herz und Hirn zersprengen. Endlich aber ward mir jene Erleuchtung, um die ich gebetet und gebettelt hatte. Und ich begriff, daß wir alle den Mut haben müßten, so zu leiden, wie diese gelitten hatten. Wer wollte so töricht sein, daß er nicht gern Qualen und Mühen auf sich nähme, wenn dies der Weg zu einem getreuen und standhaften Bräutigam wäre, der mit offenen Armen und blutiger Brust und vor Liebe brennend auf uns wartet.
Er aber liebte die Menschen. Und darum starb er als der Bräutigam, der ausgegangen ist, um seine Braut aus den Händen der Räuber zu retten. Und sie binden ihn und peinigen ihn zu Tode, er aber sieht seine geliebteste Freundin mit seinen Henkern am Tische sitzen, sieht sie mit ihnen scherzen und seine Qualen und seine getreue Liebe verspotten.“
Gunnulv Nikulaussohn schlug die Hände vors Gesicht.
„Da verstand ich, daß diese gewaltige Liebe alles in der Welt erhält - selbst das Feuer in der Hölle. Denn wenn Gott wollte, könnte er die Seele mit Gewalt ergreifen - wir wären ganz machtlos in seiner Hand. Aber da er uns liebt wie der Bräutigam die Braut, so will er uns nicht zwingen, sondern will, daß ihm diese Braut aus freien Stücken folge, und da muß er es dulden, daß sie ihn flieht und scheut. Aber ich habe auch gedacht, daß vielleicht doch keine Seele auf ewig verlorengehen kann. Denn jede Seele muß diese Liebe begehren, so dünkt es mich, aber es scheint so teuer erkauft, alle anderen Güter um des einen willen fahrenzulassen. Wenn jedoch das Feuer allen widerspenstigen und gottesfeindlichen Willen verzehrt hat, dann wird schließlich der Wille zu Gott, und wäre er auch nicht größer denn ein Nagel in einem ganzen Haus, doch endlich in der Seele liegen, wie das Eisen auf einem Brandplatz zurückbleibt.“
„Gunnulv“, Kristin erhob sich zur Hälfte, „mir wird angst..." Gunnulv sah auf, weiß, mit flammenden Augen.
„Auch mir wurde angst. Denn ich begriff, jene Qual der Liebe Gottes wird nicht enden, solange auf Erden Männer und Jungfrauen geboren werden und solange er darum bangen muß, ihre Seele zu verlieren - solange er täglich und stündlich seinen Leib und sein Blut auf tausend Altären hingibt und solange es Menschen gibt, die das Opfer verschmähen.
Und ich war voll Entsetzen über mich selbst, der ich unrein an seinem Altar gedient, die Messe mit unreinen Lippen gelesen und seinen Leib mit unreinen Händen emporgehoben hatte -und ich dünkte mich jenem Manne gleich, der seine Geliebte an einen Ort der Schande gebracht und sie verraten hatte.“ Gunnulv fing Kristin in seinen Armen auf, als sie umsank, und trug zusammen mit Orm das ohnmächtige Weib zum Bett hinüber.
Nach einer Weile öffnete sie die Augen - setzte sich aufrecht und schlug die Hände vors Gesicht. Sie brach in Weinen aus, wild und klagend.
„Ich kann nicht, ich kann nicht. Gunnulv - wenn du so sprichst, dann verstehe ich, daß ich nie ...“
Gunnulv ergriff ihre Hand. Aber sie wandte den Kopf von dem wilden und bleichen Antlitz des Mannes ab.
„Kristin. Du darfst dich nicht mit einer geringeren Liebe begnügen als jener, die zwischen Gott und der Seele ist.
Kristin, blicke um dich, siehe, was die Welt ist. Du, die zwei Kinder zur Welt gebracht hast - hast du nie daran gedacht, daß jedes neugeborene Kind zuerst in Blut getauft wird und daß das erste, was der Mensch auf dieser Erde einatmet, Blutdampf ist? Dünkt dich nicht, du, als Mutter, solltest mit allem Fleiß danach trachten, daß deine Söhne nicht in diesen ersten Taufpakt mit der Welt zurückfallen, sondern an jenem anderen Pakt festhalten, den sie mit Gott am Taufbrunnen eingingen.“
Kristin schluchzte und schluchzte.
„Ich fürchte mich vor dir, Gunnulv“, sagte sie wiederum, „wenn du so sprichst, dann verstehe ich, daß ich nie den Frieden zu
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