Kristin Lavranstochter 1
Schluchten, über tosende Flüsse und über kalte Schneefirne führte.
Aber erst als er nach Norwegen zurückgekehrt war, hatte der Unfriede so richtig Macht über sein Gemüt gewonnen.
Hier wartete seiner so vieles. Hier waren seine Besitztümer. Das große väterliche Erbe - und die reiche Pfarre. Hier war der Weg, den er vor sich hatte. Der Platz im Domkapitel -er wußte, daß er ihm bestimmt war. Wenn er sich nicht von allem trennte, was er besaß - in das Kloster der Prädikantenbrüder eintrat, zum Mönch sich weihen ließ und sich unter die Regeln beugte. Dies war das Leben, das er begehrte - mit halbem Herzen.
Und wenn er nun alt genug und im Kampf genügend gestählt war? Unter der Krone Norwegens lebten noch Heiden oder Menschen, irregeführt von den Irrlehrern, die die Russen im Namen des Christentums vorschickten. Das Lappenvolk und die anderen halbwilden Völker, an die er stets denken mußte; war nicht Gott selbst es, der in ihm das Begehren geweckt hatte, in die Länder dieser Menschen zu fahren und ihnen das Wort und das Licht zu bringen?
Aber er schob die Gedanken von sich und entlastete sich selbst damit, daß er dem Erzbischof gehorchen müsse. Herr Eiliv riet ihm davon ab. Herr Eiliv hatte mit Gunnulv gesprochen und ihm zugehört und hatte ihm deutlich gezeigt, daß er zu dem Sohn seines alten Freundes, Herrn Nikulaus’ auf Husaby, rede. „Ihr könnt doch niemals maßhalten, ihr Nachkommen der Töchter des Skogheim-Gaute, ob es nun gut oder böse ist, worauf ihr euer Begehren richtet.“ Die Erlösung des Lappenvolkes lag dem Erzbischof selbst schwer auf der Seele -aber dazu bedurfte es nicht eines Lehrvaters, der Lateinisch schrieb und sprach wie seine Muttersprache, auch im Gesetz nicht weniger gelehrt war als in Arithmetik und Algorithmus.
Gunnulv hatte doch wohl seine Weisheit erhalten, um sie zu gebrauchen. „Aber ungewiß will es mir scheinen, ob es dir gegeben ist, zu den armen und einfältigen Menschen dort oben im Norden zu sprechen.“
Ach, in jenem süßen Frühling hatte Gunnulv seine Weisheit nicht für ehrwürdiger gehalten als die Fertigkeiten, die jedes kleine Mädchen bei seiner Mutter lernt: spinnen und brauen und backen und melken; jener Unterricht, dessen jedes Kind bedarf, um sein Werk in der Welt zu verrichten.
Gunnulv hatte seinem Erzbischof die Unruhe und Angst geklagt, die ihn überkam, wenn er an seinen Reichtum dachte und daran, wie gern er reich war. Zur Notdurft seines eigenen Leibes brauchte er wenig; er selbst lebte wie ein armer Mönch. Aber er liebte es, zahlreiche Menschen an seinem Tisch sitzen zu sehen, er liebte es, den Bedürfnissen der Armen mit seinen Gaben zuvorzukommen. Und er liebte seine Pferde und seine Bücher.
Herr Eiliv sprach ernsthaft über die Ehrungen der Kirche. Einige waren dazu auserwählt, die Kirche durch ein kostbares und würdiges Auftreten zu ehren, ebenso wie andere dazu auserwählt waren, durch freiwillige Armut der Welt zu zeigen, daß Reichtum an sich nichts ist. Er erinnerte an jene Erzbischöfe und Prälaten und Priester früherer Zeiten, die Unbilden, Verfolgungen und Kränkungen von den Königen hatten erdulden müssen, weil sie das Recht der Kirche behaupteten. Ein übers andere Mal hatten sie gezeigt, daß sie allen Dingen entsagten und Gott folgten, wenn es von norwegischen Gottesmännern verlangt wurde. Gott würde selbst das Zeichen geben, wenn es von uns verlangt würde; so wir uns nur dieses fest vor Augen halten, brauchen wir nicht zu befürchten, daß der Reichtum ein Seelenfeind werden könnte.
Die ganze Zeit hatte Gunnulv bemerkt, wie wenig der Erzbischof damit einverstanden war, daß er so viel dachte und grübelte. Herr Eiliv Kortin und seine Priester schienen Gunnulv Männern zu gleichen, die unermüdlich an ihrem Hause mauerten und mauerten: die Ehre der Kirche und die Macht der Kirche und das Recht der Kirche. Gott wußte, daß er, Gunnulv, für die Sache der Kirche wohl ebenso eifrig sein wollte wie irgendein anderer Priester, er wollte sich nicht der Arbeit des Stein- und Kalktragens zum Bau entziehen. Aber es war, als fürchteten sich die anderen davor, in das Haus einzu-treten und darin auszuruhen. Und als befürchteten sie, auf Irrwege zu geraten, wenn sie zuviel dachten.
Das fürchtete er nicht. Unmöglich konnte ein Mann in Ketzerei verfallen, der den Blick unverwandt auf das Kreuz heftete und sich unablässig in den Schutz der Heiligen Jungfrau gab. Nicht dies war die Gefahr für ihn. Die
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