Kristin Lavranstochter 1
zwischen sie und alles in der Welt gehalten hatten. Jetzt schien es ihr so selbstverständlich, daß sie selbst nur Söhne gebar, lauter Knaben bekam, die sie mit ihrem Blut und an ihrer Brust nähren durfte, lieben und schirmen und pflegen durfte, bis sie groß waren, daß auch sie unter die Männer treten konnten. Sie erinnerte sich, von einer Königin gehört zu haben mit dem Beinamen Knabenmutter. Die hatte in ihrer Kindheit sicher eine Hecke von wachsamen Männern um sich gehabt.
„Was ist denn nur mit dir, Kristin?“ fragte der Vater nach einer Weile still.
Sie konnte ihm dieses nicht sagen. So brachte sie schließlich, als ihre Tränen nachließen, nur hervor:
„Soll ich nicht traurig sein, Vater, wenn Ihr hier liegt?“ Schließlich, als Lavrans in sie drang, sprach sie von ihrer Furcht um das ungetaufte Kind. Da befahl er sofort, daß der Knabe am nächsten Messetag in die Kirche gebracht werden sollte - er sagte, er glaube nicht, daß er um dieser Sache willen sterbe, ehe Gottes Stunde inne sei.
„Und außerdem habe ich doch lange genug hier gelegen“, sagte er und lachte. „Kümmerliche Taten begleiten unseren Eingang und unseren Ausgang, Kristin - in Krankheit werden wir geboren und in Krankheit sterben wir, wenn wir nicht einen jähen Tod finden. Als ich jung war, dünkte mich der schönste Tod, auf der Walstatt gefällt zu werden. Aber einem sündigen Mann kann das Krankenlager wohl not tun - obgleich ich jetzt nicht fühlen kann, daß meine Seele wächst, auch wenn ich noch länger hier liege.“
So wurde der Knabe am nächsten Sonntag getauft und erhielt den Namen seines Großvaters. Kristin und Erlend wurde dies draußen in den Gemeinden sehr übel genommen, obgleich Lavrans Björgulvssohn allen, die kamen, sagte, er habe es verlangt; er wolle nicht einen Heiden in seinem Hause haben, wenn der Tod an die Tür käme.
Lavrans begann sich nun Sorgen darum zu machen, daß sein Tod mitten in die Zeit der Frühjahrsbestellung treffen könnte, sehr ungelegen für die vielen Leute, die gern ihm zu Ehren seinem Leichenbegängnis folgen wollten. Aber vierzehn Tage nach der Taufe des Kindes trat Erlend zu Kristin in die alte Webstube, wo sie seit der Geburt schlief. Der Tag war schon vorgeschritten, die Zeit des Morgenimbisses war vorüber; sie lag noch zu Bett, denn der Knabe war unruhig gewesen. Erlend war sehr bewegt; still und liebevoll sagte er zu ihr, sie müsse nun aufstehen und zu ihrem Vater gehen. Lavrans habe beim Morgengrauen schwere Herzkrämpfe gehabt und danach lange ohnmächtig dagelegen. Jetzt sei Sira Eirik bei ihm und habe ihm soeben die Beichte abgenommen.
Es war der fünfte Tag nach der Halvardsmesse (15. Mai). Der Regen fiel gleichmäßig und warm. Als Kristin auf den Hofplatz hinauskam, verspürte sie im schwachen Südwind den Erdgeruch von frischgepflügten und gedüngten Äckern. Das Tal lag braun unter dem Frühlingsregen, die Luft blaute zwischen den hohen Bergen, und der Nebel trieb in halber Höhe an den Hängen entlang. Aus den Hainen längs dem wasser-reichen grauen Fluß klang es von kleinen Glocken - die Ziegenherden waren hinausgelassen worden und knabberten an den mit Knospen besetzten Zweigen. Es war ein Wetter, wie es das Herz des Vaters stets erfreut hatte, Winter und Kälte nahmen für Menschen und Tiere ein Ende, das Vieh wurde aus engen, dunklen Ställen und vom Futtermangel erlöst.
Sie erkannte an dem Gesicht des Vaters sofort, daß der Tod jetzt sehr nahe war. Um die Nasenflügel war er schneeweiß, die Lippen und die Höhlen um die großen Augen waren bläulich, das Haar hatte sich geteilt und lag in feuchten Strähnen um die breite, mit Schweißtropfen bedeckte Stirn. Aber er war jetzt bei voller Besinnung und sprach klar, wenn auch langsam und mit schwacher Stimme.
Das Gesinde trat, einer nach dem andern, ans Lager vor; Lavrans gab ihnen allen die Hand, dankte für ihre Dienstleistungen, bat sie, ihm zu verzeihen, so er gegen sie in irgendeiner Weise gefehlt hätte, und bat sie, seiner Seele in einem Gebet zu gedenken. Dann nahm er Abschied von seinen Angehörigen. Die Töchter bat er, sich herabzubeugen, damit er sie küssen könne, er wünschte den Segen Gottes und aller Heiligen auf sie herab. Sie weinten bitterlich alle beide, und die junge Ramborg warf sich der Schwester in die Arme. Einander umschlungen haltend, traten die beiden Lavranstochter an ihren Platz am Fußende des Bettes zurück, und die jüngere fuhr fort, an Kristins Brust zu
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