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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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Abschieds im Herbst oben auf dem Gebirge; es durfte nicht wahr sein, daß sie nun wünschte, es möchte dies der letzte gewesen sein.
    Am Sommertag (14. April) bekam Kristin ihren sechsten Sohn, und schon am fünften Tag darauf stand sie auf und ging ins Wohnhaus hinüber, um bei ihrem Vater zu sein. Lavrans sah dies nicht gern - es war auf seinem Hof nie Brauch gewesen, daß eine Wöchnerin vor ihrem Kirchgang sich unter freien Himmel begab. Auf jeden Fall durfte sie nicht über den Hofplatz gehen, ohne daß die Sonne am Himmel stand. Ragnfrid hörte zu, während er darüber sprach.
    „Da muß ich daran denken, Hausvater“, sagte sie, „daß wir Frauen dir nie recht viel Gehorsam gezeigt haben, sondern meist das taten, was wir selbst wollten.“
    „Ist dir das nie früher bewußt geworden?“ fragte der Mann lächelnd. „Dann ist es nicht die Schuld deines Bruder Trond -erinnerst du dich, er schalt stets darüber, daß ich euch zu sehr euren Willen ließ.“
    Am nächsten Messetag feierte Ramborg ihren Kirchgang, und danach kam sie zum erstenmal seit ihrem Kindbett nach Jörundhof. Mit ihr kam Helga Rolvstochter - auch sie war jetzt verheiratet. Bei Lavrans saß gerade Haavard Trondssohn von Sundbu. Diese drei jungen Menschen waren gleichaltrig und hatten drei Jahre hindurch wie Geschwister auf Jörundhof gelebt. Damals hatte Haavard sich am meisten unter ihnen hervorgetan und bei ihren Spielen den Anführer gemacht, weil er ein Knabe war. Jetzt ließen ihn die beiden jungen Frauen mit ihren weißen Kopflinnen deutlich fühlen, daß sie erfahrene Frauen mit Männern, Kindern und Höfen waren, während er nur ein unmündiges und unverständiges Kind war. Lavrans bereitete dies viel Spaß.
    „Warte nur, bis du selbst eine Frau hast, Haavard, mein Pflegesohn, dann erst wirst du richtig zu wissen bekommen, wie wenig du verstehst“, sagte er, und alle Männer in der Stube lachten und stimmten zu.
    Sira Eirik kam täglich zu dem Sterbenden herüber. Die Augen des alten Pfarrpriesters waren jetzt schwach geworden, die Schöpfungsgeschichte auf Norwegisch und die Evangelien und Psalmen auf Lateinisch aber konnte er noch ebenso gut und fließend lesen wie früher, weil er die Bücher genau kannte. Nun aber hatte Lavrans vor einigen Jahren unten auf Saastad ein großes Buch erstanden; aus diesem wollte er jetzt am liebsten hören, Sira Eirik aber vermochte mit seinen schlechten Augen nicht, darin zu lesen. Da bat der Vater seine Tochter
    Kristin, sie möchte versuchen, ob sie es lesen könne. Und als sie sich ein wenig an das Buch gewöhnt hatte, gelang ihr dies auch gut und schön, und es bedeutete eine große Freude für sie, daß es nun etwas gab, was sie ihrem Vater zuliebe tun konnte.
    In diesem Buch standen Dinge wie Zwiegespräche zwischen Furcht und Mut, zwischen Glauben und Zweifel, Leib und Seele. Es standen auch einige Heiligengeschichten darin und mehrere Berichte über Männer, die schon zu ihren Lebzeiten vom Geist erfüllt gewesen waren und die Qualen der Unterwelt, die Prüfungen des Fegefeuers und die Seligkeit des Himmelreiches gesehen hatten. Lavrans sprach viel vom Fegefeuer, in das er nun bald zu kommen erwartete, aber er war frei von aller Furcht. Er hoffte auf große Hilfe durch die Fürbitte seiner Freunde und der Priester und tröstete sich damit, daß Sankt Olav und Sankt Thomas ihn bei der letzten Prüfung stärken würden, wie er die Stärkung, die von ihnen ausging, in diesem Leben oft gefühlt hatte. Stets hatte er gehört, daß, wer fest im Glauben sei, keinen Augenblick die Seligkeit aus den Augen verliere, zu der die Seele durch das heiße Feuer eingehe. Kristin dünkte es, ihr Vater freue sich wie auf eine Mannesprobe. Sie entsann sich undeutlich aus ihrer Kindheit, wie damals die Eidmänner des Königs aus dem Tal zum Heereszug gegen Herzog Eirik auszogen - jetzt schien es ihr, als sähe der Vater seinem Tod so entgegen, wie er damals dem Abenteuer und den Kämpfen entgegengesehen hatte.
    Da sagte sie eines Tages, es dünke sie, dem Vater seien hier im Leben so viele Prüfungen auferlegt gewesen, daß ihm die im Jenseits leicht gemacht werden müßten. Lavrans antwortete, dieser Meinung sei er jetzt nicht; er sei ein reicher Mann gewesen, in einem hervorragenden Geschlecht geboren, habe Freunde und Erfolg in der Welt gehabt. „Meine schwersten Sorgen waren, daß ich nie das Antlitz meiner Mutter gesehen habe und daß ich meine Kinder verlor, aber nun sind das bald keine Sorgen mehr.

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