Kristin Lavranstochter 1
seinen Wünschen.
Am nächsten Tag sollte für den Leichnam, der sich jetzt in der Olavskirche befand, die Reise nach Hamar beginnen.
Am Abend zuvor - es war schon fast mehr in der Nacht - kam Ragnfrid in die Feuerstube, wo die Tochter mit ihrem Kind schlief. Die Hausfrau war sehr müde, aber ihr Gesicht war still und klar. Sie hieß die Mägde hinausgehen. „Zwar sind alle Häuser voll, aber ihr findet wohl einen Winkel; diese letzte Nacht, die ich auf meinem Hofe zubringe, möchte ich selbst bei meiner Tochter wachen.“
Sie nahm Kristin das Kind aus den Armen, trug es zur Feuerstätte und richtete es für die Nacht her.
„Seltsam muß es für Euch sein, Mutter, von diesem Hof ziehen zu müssen, auf dem Ihr alle diese Jahre mit meinem Vater gelebt habt“, sagte Kristin. „Ich verstehe kaum, daß Ihr es vermögt.“
„Ich vermöchte wohl viel weniger hier zu leben“, antwortete Ragnfrid und wiegte den kleinen Lavrans auf den Knien, „ohne deinen Vater hier auf dem Hofe zu sehen.
Du hast nie gehört, wie es sich zutrug, daß wir in dieses Tal herzogen und hier wohnen blieben“, begann sie nach einer
Weile wieder. „In jener Zeit, als die Nachricht kam, daß Ivar, mein Vater, bald seinen Geist aufgeben würde, war ich nicht imstande zu reiten; Lavrans mußte allein nordwärts reisen. Ich erinnere mich noch, es war ein so schönes Wetter an dem Abend, da er fortzog - er liebte es schon damals, erst spät wegzureiten, wenn es kühl war; er wollte Oslo noch an demselben Abend erreichen - es war kurz vor Mittsommer. Ich begleitete ihn bis dorthin, wo der Weg vom Hof den Kirchweg kreuzt; entsinnst du dich, dort sind einige hohe kahle Felsen und ringsumher unfruchtbarer Boden, die schlechteste Erde auf Skog, dort herrscht immer Trockenheit, aber in diesem Jahre stand das Korn schön auf jenen Feldern, und wir redeten darüber. Lavrans führte sein Pferd, und ich hatte dich an der Hand - du warst vier Winter alt.
Als wir an die Wegkreuzung kamen, wollte ich, daß du heimlaufen solltest. Du hattest wenig Lust dazu, da aber sagte dein Vater, du solltest versuchen, fünf weiße Steine zu finden, um sie in Kreuzform in den Bach, gleich dort, wo er aus der Erde herausquillt, zu legen - das sollte ihn gegen den Zauber im Mjörsawald schützen, wenn er dort vorüberkam. Da liefst du davon.“
„Ist das etwas, was die Leute sagen?“ fragte Kristin.
„Ich habe es weder vorher noch nachher gehört. Ich denke, dein Vater erfand es in jenem Augenblick. Erinnerst du dich nicht, er erfand so vieles, wenn er mit dir spielte?“
„Doch. Ich erinnere mich.“
„Ich begleitete ihn durch den Wald, bis zum Zwergenstein. Da bat er mich, umzukehren, und dann ging er mit mir wieder bis zur Wegkreuzung zurück - er lachte und sagte, ich könnte doch wohl wissen, daß er mich jetzt auf keinen Fall allein durch den Wald gehen lassen würde, um so mehr, als auch schon die Sonne untergegangen sei. Als wir so dort am Wegkreuz standen, legte ich meine Arme um seinen Hals; mir war so schwer zumute, weil ich nicht mit heimreisen konnte - auf Skog konnte ich mich nie so recht wohl fühlen, und ich sehnte mich stets nach dem Tal im Norden zurück. Lavrans tröstete mich und sagte dann zum Schluß: ,Wenn ich zurückkomme und dich mit meinem Sohn auf den Armen finde, dann kannst du mich bitten, um was du willst, und so es in der Macht eines Menschen steht, es dir zu geben, sollst du nicht umsonst gebeten haben.“ Darauf antwortete ich, daß ich dann darum bitten würde, hierher auf meinen Erbhof zu ziehen und hier zu wohnen. Deinem Vater sagte dies wenig zu, und er erwiderte denn auch: ,Hättest du nicht um etwas Größeres bitten können?' Er lachte ein wenig, und ich dachte, er würde es nie tun, und dies schien mir auch begreiflich. Dann weißt du ja, wie es zuging: Sigurd, dein jüngster Bruder, lebte nicht eine Stunde - Halvdan taufte ihn, und Sigurd starb gleich darauf.
Dein Vater kam eines frühen Morgens heim - er hatte den Abend zuvor in Oslo erfahren, wie es daheim stand, und war daraufhin sofort weitergeritten. Ich lag noch zu Bett, ich war so traurig, daß ich nicht aufstehen mochte - am liebsten wäre ich nie wieder aufgestanden. Gott verzeihe mir, aber wenn sie dich zu mir hereinbrachten, drehte ich mich der Wand zu und wollte dich nicht sehen, dich kleines Wesen. Da aber sagte Lavrans, als er auf meinem Bettrand saß, noch mit Umhang und Schwert angetan, daß wir nun versuchen sollten, ob es nicht besser für uns sei,
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