Kristin Lavranstochter 1
Und so ist es auch mit anderen Dingen, die mich in meinem Leben bedrückt haben - es sind keine Sorgen mehr.“
Die Mutter war oft dabei, wenn Kristin vorlas, auch fremde Leute waren anwesend, und Erlend wollte jetzt gern dabeisitzen und zuhören. Alle diese Menschen hatten Freude daran, sie selbst aber wurde aufgerührt und verzweifelt - sie dachte an ihr eigenes Herz, das so genau wußte, was recht und gut
war, und doch stets zu Ungerechtigkeit neigte. Und sie fürchtete für ihr kleines Kind, wagte des Nachts kaum zu schlafen vor Angst, es könnte ungetauft sterben. Stets mußten zwei Frauen bei ihr wachen, und doch wagte sie selbst nicht, einzuschlafen. Ihre anderen Kinder waren alle getauft worden, noch ehe sie drei Tage alt waren, aber mit diesem letzten wartete man, da es so groß und stark war und man es gern nach Lavrans nennen wollte - hier im Tal hielten die Leute streng an dem Brauch fest, daß der Name eines lebenden Mannes nicht weggegeben werden dürfe.
Eines Tages, als sie beim Vater saß und das Kind auf dem Schoß hielt, bat er sie, die Windeln zu lösen; er hatte bisher noch nicht mehr von dem Kleinen gesehen als das Gesicht. Sie tat, worum er sie gebeten hatte, und legte den Knaben in die Arme ihres Vaters. Lavrans streichelte über die kleine gewölbte Brust und nahm eine der kleinen runden Hände in die seinen.
„Seltsam ist es, Verwandter, daß du in meinem Harnisch stehen sollst - jetzt würdest du ihn nicht besser ausfüllen, als ein Wurm eine hohle Nuß ausfüllt, und diese Hand muß noch sehr wachsen, ehe sie meinen Schwertknauf umfassen kann. Wenn man solche kleine Burschen sieht wie diesen hier, so kann man beinahe verstehen, daß Gott uns nicht zum Waffentragen geschaffen hat. Du aber wirst nicht sehr viel größer werden, du kleiner Kerl, und schon wirst du dich danach sehnen, Waffen in die Hand zu bekommen. Nur die wenigsten Männer, die Frauen je geboren haben, besitzen so große Liebe zu Gott, daß sie der Waffenehre abschwören. Ich besaß diese Liebe nicht.“ Er lag eine Weile da und betrachtete das zarte Kind. „Du trägst deine Kinder unter einem liebevollen Herzen, meine Kristin - der Knabe ist rund und groß, du aber bist bleich und schlank wie eine Gerte, und so, sagte deine Mutter, sei es immer gewesen, wenn du von ihnen erlöst warst. Ramborgs Tochter war schmächtig und klein“, fügte er lachend hinzu, „aber Ramborg selbst blüht wie eine Rose.“
„Es will mir darum seltsam scheinen, daß sie ihr Kind nicht an ihrer eigenen Brust nähren mag“, erwiderte Kristin.
„Auch Simon war dagegen, er sagte, er wolle ihr dies Geschenk nicht so lohnen, daß sie Schaden leide; du darfst nicht vergessen, Kristin, Ramborg war noch nicht volle sechzehn Jahre alt, war selbst kaum den Kinderschuhen entwachsen, als sie die
Tochter bekam - und nie hatte sie vorher eine Stunde der Krankheit gekannt, es ist nicht zu verwundern, daß sie nur kurze Geduld hatte. Du warst ein erwachsenes Weib, als du verheiratet wurdest, meine Kristin!“
Plötzlich wurde Kristin von heftigem Weinen befallen - sie wußte selbst kaum, weshalb sie so weinte. Aber es war so wahr - sie hatte ihre Kinder geliebt vom ersten Augenblick an, da sie wußte, daß sie sie in ihrem Schoße trug, sie hatte sie geliebt, während sie sie mit Unruhe quälten, sie beschwerten und sie verunstalteten. Sie hatte ihre kleinen Gesichter geliebt vom ersten Male an, da sie sie sah, und liebte sie jede Stunde, während sie heranwuchsen und. sich veränderten und männlich wurden. Aber niemand hatte sie so richtig mit ihr geliebt und sich so richtig mit ihr gefreut - Erlend war nicht so geartet, er mochte sie wohl ganz gern, aber bei Naakkve fand er, er sei zu zeitig gekommen, und bei den anderen hatte er stets gesagt, daß ihrer einer zuviel sei.
Es dämmerte ihr, was sie über die Frucht der Sünde hatte denken müssen, in jenem ersten Winter, den sie auf Husaby lebte - sie begriff, daß sie deren Bitterkeit zu kosten bekommen hatte, wenn auch nicht so, wie sie befürchtet hatte. Damals war etwas zwischen sie und Erlend getreten, und das konnte wohl nie wiedergutgemacht werden.
Ihrer Mutter hatte sie nie nahegestanden, ihre Schwestern waren noch kleine Kinder gewesen, als sie erwachsen war, Spielgenossinnen hatte sie nie gehabt. Sie war zwischen Männern aufgewachsen und hatte sich ganz dem hingeben können, sanft und weich zu sein, denn stets waren Männer um sie gewesen, die schirmend und wehrend ihre Hände
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