Kristin Lavranstochter 1
sagte Sunniva, „daß die Geißel dich nicht selber trifft..."
Sie saß aufrecht im Bett und wartete. Aber Erlend machte keine Miene, zu widersprechen oder sich mit seiner Freundin auszusöhnen. Er zog sich fertig an und ging weg, ohne noch mehr zu ihr zu sagen.
Er war nicht sehr zufrieden mit sich selbst oder mit der Art, wie er sich von Sunniva getrennt hatte. Ehrenvoll war es für ihn nicht gewesen. Aber mochte es nun so sein - jedenfalls war er sie endlich losgeworden.
4
In diesem Frühling und Sommer bekamen die Leute auf Husaby nicht viel von ihrem Herrn zu sehen. Die wenigen Male, die er auf seinem Hof war, begegneten er und seine Gattin
einander mit Höflichkeit und Freundlichkeit. Erlend machte keinerlei Versuch, die Wand niederzureißen, die sie zwischen sich und ihm errichtete, obgleich er ihr oft forschend nachblickte. Im übrigen schien er vielerlei Dinge außerhalb des Heimes im Kopf zu haben. Nach dem Betrieb des Hofes fragte er nie mit einem Wort.
Dies erwähnte auch seine Frau, als er kurz nach der Kreuzmesse wollte, daß sie ihn ins Raumstal hinaufbegleite. Er hatte im Oberland etwas zu tun - fragte, ob sie die Kinder mitnehmen und eine Zeitlang auf Jörundhof wohnen und Freunde und Verwandte im Tal dort besuchen wolle. Aber Kristin wollte dies unter keinen Umständen.
Er hielt sich um die Zeit des Gerichtsthings in Nidaros und später draußen in Orkedal auf, dann kehrte er heim nach Husaby, war aber gleich mit den Vorbereitungen zu einer Björgvin-Reise vollauf beschäftigt. Margygren lag draußen bei Nidarholm, und er wartete nur auf Haftor Graut, mit dem zusammen er segeln sollte.
Drei Tage vor der Margretmesse begann die Heuernte auf Husaby. Es war das schönste Wetter, und als das Gesinde nach der Mittagsrast wieder auf die Wiesen hinausging, wollte Olav, der Großknecht, auch die Kinder mitnehmen.
Kristin war in der Kleiderkammer, die sich im mittleren Stockwerk des Waffenhauses befand. Das Haus war so gebaut, daß zu diesem Raum eine äußere Treppe hinaufführte und auf einen Altan auslief, das obere Stockwerk aber ragte darüber vor, und zu diesem führte nur eine angelehnte Leiter und eine Luke von der Kleiderkammer aus hinauf. Sie war offen, denn Erlend hielt sich gerade oben in der Waffenkammer auf.
Kristin trug den Pelzumhang heraus, den Erlend auf die Seereise mitnehmen wollte, und schüttelte ihn auf dem Altan aus. Da vernahm sie den Lärm einer großen Reiterschar, und zugleich sah sie aus dem Wald beim Gaultalsweg Leute herausreiten. Im nächsten Augenblick stand Erlend an ihrer Seite.
„Ist es wahr, Kristin, daß das Feuer heute morgen im Küchenhaus verlöschte?“
„Ja, Gudrid warf den Kessel um, wir müssen bei Sira Eiliv Feuer leihen.“
Erlend sah zum Priesterhaus hinüber.
„Nein, er darf nicht in diese Sache mit hineingezogen werden. Gaute“, rief er leise zu dem Knaben hinunter, der sich unter dem Altan herumtrieb, einen Rechen nach dem anderen in die Hand nahm und wenig Lust hatte, zur Heuarbeit hinauszugehen. „Komm auf die Treppe herauf - nicht weiter, sonst können sie dich erblicken.“
Kristin starrte ihren Mann an, so hatte sie ihn noch nie gesehen - die gespannte, wache Ruhe in seiner Stimme, im Gesicht, während er nach Süden zu dem Weg hinunterspähte, über seiner ganzen geschmeidigen Gestalt, als er in die Kammer zurücklief und gleich darauf mit einem flachen, in Leinwand eingenähten Bündel zurückkam. Dieses gab er dem Knaben.
„Verstecke das an deiner Brust - und merke wohl auf, was ich dir sage. Du mußt diese Briefe retten - es gilt mehr, als du verstehen kannst, mein Gaute. Nimm deinen Rechen über die Schulter und gehe ruhig über die Felder hinunter, bis du an das Erlengestrüpp kommst. Halte dich im Dickicht bis zum Wald hinunter, du kennst dich dort gut aus, das weiß ich -schleiche dich durch das dickste Gebüsch den ganzen Weg hinüber bis Skjoldvirkstad. Sieh dich wohl um, ob dort auf dem Hof alles ruhig ist. Bemerkst du Anzeichen von Unruhe oder von fremden Leuten in der Nähe, so halte dich verborgen. Bist du aber gewiß, daß alles sicher ist, dann geh hin und gib dies Ulv, wenn er daheim ist. Kannst du jedoch die Briefe nicht in seine Hände legen, ohne sicher zu sein, daß sich niemand in der Nähe befindet, so verbrenne sie, sobald es dir möglich ist. Aber gib wohl darauf acht, daß Schrift und Siegel und alles völlig vernichtet werden und daß das Bündel nicht in die Gewalt eines anderen Mannes als Ulv gelangt.
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