Kristin Lavranstochter 1
Gott stehe uns bei, mein Sohn, das sind große Dinge, sie einem zehn Winter alten Knaben anzuvertrauen, vieler guter Männer Leben und Wohlfahrt hängen daran - verstehst du, daß es viel gilt, Gaute?“
„Ja, Vater. Ich habe alles verstanden, was Ihr mir gesagt habt.“ Gaute hob sein kleines, helles, ernsthaftes Gesicht zu ihm auf, wie er so auf der Treppe stand.
„Sage Isak, wenn Ulv nicht daheim ist, daß er sofort und die ganze Nacht hindurch nach Hevne reiten muß, um ihnen zu sagen, er weiß schon, wem, daß ich glaube, es sei ein Gegenwind aufgekommen, und fürchte, meine Fahrt sei behext worden. Verstehst du?“
„Ja, Vater. Ich erinnere mich an alles, was Ihr gesagt habt.“
„So geh nun. Gott schütze dich, mein Sohn.“
Erlend lief in die Waffenkammer hinauf, wollte die Luke zufallen lassen, Kristin war jedoch schon halb hindurchgeschlüpft. Er wartete, bis sie ganz oben war, dann schloß er zu und lief zu einer Kiste, aus der er verschiedene Briefschaften nahm. Er zerrte die Siegel herunter und zertrat sie auf dem Boden, riß das Pergament in Fetzen und ballte es um den Schlüssel zusammen, den er mit allem übrigen durch eine Lichtluke auf die Erde hinunterwarf, wo hinter dem Haus die Nesseln dicht und hoch wucherten. Die Hände um die Luke gelegt, stand er da und starrte dem kleinen Knaben nach, der am Rande eines Getreideackers zur Wiese hinuntertrabte, vorbei an dem Erntevolk, das mit Sensen und Rechen reihenweise hintereinander herging. Als Gaute in der kleinen Bodensenke zwischen Acker und Wiese verschwunden war, schloß Erlend die Luke. Jetzt hörte man die Hufschläge laut und nahe beim Hof.
Erlend wandte sich seiner Frau zu.
„Kannst du das beiseite schaffen, was ich jetzt hinuntergeworfen habe? Lasse Skule, er ist klug - sag ihm, er soll es in die Grube hinter dem Stall werfen. Dich werden sie wohl im Auge behalten und vielleicht auch die großen Burschen. Aber durchsuchen werden sie dich kaum“, er schob ihr die Siegelbruchstücke in den Busen. „Zu erkennen sind sie wohl nicht mehr, aber..."
„Bist du in Gefahr, Erlend?“ fragte sie still. Als er ihr ins Gesicht sah, warf er sich in ihre ausgebreiteten Arme. Einen Augenblick drückte er sie an sich.
„Ich weiß es nicht, Kristin. Es wird sich wohl bald zeigen. Tore Eindridessohn reitet an der Spitze der Männer, und Herr Baard ist mit ihnen, wenn ich recht gesehen habe. Ich erwarte nicht, daß Tore im guten hierherkommt...“
Jetzt waren die Reiter auf dem Hofplatz. Erlend blieb einen Augenblick stehen. Dann küßte er sein Weib heftig, öffnete die Luke und eilte hinunter. Als Kristin auf den Altan hinaustrat, stand Erlend im Hof und half dem Schatzmeister, einem alten und schwerfälligen Mann, aus dem Sattel. Es waren zusammen mit Herrn Baard und dem Vogt des Gauldölagaus mindestens dreißig bewaffnete Männer.
Während Kristin über den Hofplatz schritt, hörte sie den Vogt sagen:
„Ich kann dich von deinen Vettern grüßen, Erlend. Borgar und Guttorm genießen bereits die Gastfreundschaft des Königs in Veöy, und ich denke, Haftor Toressohn hat jetzt um diese Zeit Ivar und den Jungen daheim auf Sundbu bereits aufgesucht. Graut nahm Herr Baard gestern in die Stadt mit.“
„Und jetzt bist du gekommen, um mich zu derselben hohen Versammlung zu holen, denke ich mir“, sagte Erlend lachend. „So ist es, Erlend.“
„Und dann wollt ihr wohl den Hof hier durchsuchen? Ah, ich habe solches doch schon so oft mitgemacht, daß ich die Reihenfolge kennen sollte.“
„So große Dinge wie Landesverrat hast du noch nicht unter den Händen gehabt“, erwiderte Tore.
„Nein, bis jetzt nicht“, sagte Erlend. „Und es sieht so aus, als spielte ich mit den schwarzen Steinen, Tore, und als hättest du mich matt gesetzt - ist es nicht so, Verwandter?“
„Wir müssen nun die Briefe finden, die du von Frau Ingebjörg Haakonstochter erhalten hast“, sagte Tore Eindridessohn.
„Die sind in der mit rotem Leder bezogenen Kiste, oben in der Waffenkammer, aber es steht nicht viel darin, außer was in Briefen steht, wie sie liebevolle Verwandte einander zu senden pflegen - und alt sind sie alle. Stein hier kann euch hinaufbegleiten.“
Die Angekommenen waren von den Pferden gestiegen, und das Gesinde strömte jetzt auf dem Hofplatz zusammen.
„In denen, die wir Borgar Trondssohn abgenommen haben, stand mehr“, meinte Tore. Erlend pfiff leise.
„Wir können wohl in die Stube hineingehen“, sagte er, „hier sammeln sich
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