Kristin Lavranstochter 1
als müsse das Leben der Söhne sich in ihrem eigenen rühren, als müßten sie eins sein mit ihr, wie sie es gewesen waren, als sie, die Mutter, allein auf Erden von dem neuen Leben wußte, das in ihr verborgen lag und von ihrem Blute trank und ihre Wangen bleich machte. Immer wieder und immer wieder hatte sie jene quälende Angst ausgekostet, die ihr den Schweiß durch die Poren trieb, wenn sie fühlte, daß ihre Stunde wieder gekommen war, daß sie wieder in die Tiefen der Kindsnöte hinabgezogen werden sollte
- bis sie mit einem neuen Kinde in den Armen emporgetragen wurde; um wieviel reicher und stärker und mutiger nach jedem Kind, das verstand sie erst heute abend.
Und trotzdem sah sie heute abend, daß sie dieselbe Kristin von Jörundhof war, die nicht gelernt hatte, ein unsanftes Wort zu ertragen, weil sie ihr Leben lang von einer so starken und sanften Liebe beschützt gewesen war. In Erlends Händen war sie noch dieselbe.
Ja. Ja. Ja. Es war richtig, jahraus, jahrein war sie umhergegangen und hatte sich jeder Wunde erinnert, die er ihr geschlagen hatte - obwohl sie sich stets bewußt gewesen war, daß er sie nicht so verletzt hatte wie ein erwachsener Mensch, der dem anderen Böses will, sondern wie ein Kind, das seinen Spielgenossen im Spiel schlägt. Sie hatte die Erinnerung an jede seiner Kränkungen sorgsam gepflegt, wie man eine eiternde Wunde pflegt. Und jede Demütigung, die er sich selber zugezogen hatte, indem er jedem seiner Einfälle nachgab, hatte sie wie ein Peitschenhieb auf die bloße Haut getroffen und ihr offene Wunden zugefügt. Nicht, daß sie mit Willen und Absicht den Groll gegen ihren Gatten in sich hegte, sie wußte, daß sie sonst nicht kleinen Sinnes war, aber sie wurde es, wenn es sich um ihn handelte. Wenn es sich um Erlend handelte, konnte sie nichts vergessen - und jeder kleinste Riß in ihrem Gemüt, den er verursacht hatte, brannte und blutete und schwoll an und schmerzte unablässig.
Ihm gegenüber wurde sie nie klüger, nie stärker. Soviel sie sich auch Mühe gab, auch in ihrem Zusammenleben mit ihm tüchtig und fromm und stark zu scheinen - sie war es doch nicht in Wirklichkeit. Stets, stets hatte es in ihr vor Sehnsucht gejammert, wieder seine Kristin aus den Wäldern von Gerdarud zu sein.
Damals hätte sie lieber alles getan, was schlecht und sündig war, als ihn verloren. Um Erlend an sich zu binden, hatte sie ihm alles gegeben, was sie besaß: ihre Liebe und ihren Leib, ihre Ehre und ihr Erbe an Gottes Erlösung. Und sie hatte gegeben, was ihr zu geben einfallen konnte und was nicht ihr gehörte: die Ehre ihres Vaters und das Vertrauen zu seinem Kinde, alles, was erwachsene und kluge Männer aufgebaut hatten, um ein kleines, unmündiges Mädchen zu schützen, hatte sie umgestürzt; ihren Plänen für die Wohlfahrt und das Glück des Geschlechtes, ihren Hoffnungen auf die Frucht ihrer Arbeit, wenn sie selbst einmal unter der Erde liegen würde, hatte sie ihre Liebe entgegengestellt. Weit mehr als ihr eigenes Leben hatte sie bei diesem Spiel eingesetzt, in dem Erlend Nikulaussohn Liebe der einzige Gewinn war.
Und sie hatte gewonnen. Sie hatte es gewußt von dem Augenblick an, da er sie in dem Garten auf Hofvin zum ersten Male geküßt hatte, bis er sie jetzt heute in der Kleinstube küßte, ehe er als Gefangener von seinem Heim weggeführt wurde - Erlend liebte sie so wie sein eigenes Leben. Und hatte er nicht gut gegen sie gehandelt, so hatte sie doch beinahe von der ersten Stunde an, in der sie ihm begegnet war, gewußt, wie er auch gegen sich selbst zu handeln pflegte. Hatte er nicht stets gut an ihr gehandelt, so hatte er doch an ihr besser gehandelt als an sich selbst.
Jesus! Wie hatte sie ihn gewonnen? Heute abend gestand sie es sich selbst ein - sie selber hatte ihn durch ihre Kälte und durch ihre giftigen Worte zum Ehebruch getrieben. Jetzt gestand sie es sich selbst ein - sogar in diesen Jahren, da sie stets seine ungeziemliche Neckerei mit diesem Weibe, Sunniva, gesehen und sich darüber gegrämt hatte, hatte sie mitten in ihrem Zorn eine hochmütige und trotzige Freude empfunden; niemand wußte von einem offenbaren Fleck an Sunniva Olavstochter Ruf, aber Erlend redete und scherzte mit ihr wie ein Söldner mit einer Wirtsmagd. Von ihr, Kristin, hatte er gewußt, daß sie jene belügen und betrügen konnte, die am festesten auf sie bauten, daß sie sich willig zu den schlimmsten Orten locken ließ - er hatte trotzdem an sie geglaubt, hatte sie stets nach
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