Kristin Lavranstochter 1
zuvor stürmisch gewesen. Der Frost hatte jetzt eingesetzt - als die Männer der Stadt zuritten, klang es hart unter den Pferdehufen, und die Äcker waren blaß von Reif. Es sah nach Schnee aus, der Himmel war gleichmäßig überzogen und das Tageslicht trüb und kaltgrau.
Simon hatte gesehen, daß Erlend das eine Bein etwas nachzog, als er in den Burghof herauskam, und er schien ein wenig steif und ungelenk, als er zu Pferde stieg. Auch war er sehr bleich. Er hatte den Bart abgenommen und das Haar zurechtgestutzt, der obere Teil seines Gesichtes war jetzt fahlgelb und die andere Hälfte weiß, mit bläulichen Bartstoppeln; die Augen waren eingefallen. Aber er sah stattlich aus in dem langen dunkelblauen Gewand und in dem Umhang, und er hielt sich aufrecht, als er von Olav Kyrning Abschied nahm, und reichte den Männern, die ihn im Gefängnis bewacht und ihm das Essen gebracht hatten, Geldgeschenke wie ein vornehmer Mann, der einen Hochzeitshof verläßt.
Die erste Zeit während des Rittes schien er zu frieren; er schauerte ein paarmal zusammen. Dann stieg ein wenig Farbe in seine Wangen, das Gesicht belebte sich - es war, als wallten Saft und Leben in ihm auf. Simon dachte, Erlend sei gewiß nicht leichter zu brechen als eine Weidengerte.
Sie kamen in die Herberge, und Kristin trat auf dem Hofplatz ihrem Gemahl entgegen. Simon versuchte, nicht hinzusehen, aber er konnte nicht anders.
Sie reichten einander die Hände und wechselten einige Worte, still und mit klarer Stimme. Sie hielten sich sehr schön und geziemend bei dieser Begegnung vor den Augen aller Leute des Hofes. Nur daß sie beide flammend rot wurden, einander eine Sekunde lang ansahen und dann beide den Blick zu Boden senkten. Dann reichte Erlend wiederum seiner Frau die Hand, und sie schritten zusammen auf das Haus zu, in dem sie während ihres Aufenthaltes in der Stadt wohnen sollten.
Simon wandte sich dem Haus zu, wo er und Kristin sich bis jetzt aufgehalten hatten. Da drehte sie sich auf der untersten Stufe der Treppe um und rief ihm nach, mit seltsam klingender Stimme:
„Kommst du nicht, Schwager? Du mußt doch erst etwas essen - du auch, Ulv!“
Ihr Körper schien so jung und weich, wie sie so dastand, ein wenig in den Hüften gedreht und über die Schulter zurückblickend. Gleich nachdem sie nach Oslo gekommen war, hatte sie angefangen, ihr Kopftuch auf eine andere Art zu binden. Hier im Süden trugen nur die Frauen kleiner Leute das Tuch noch auf jene frühere Art, wie sie es seit ihrer Heirat getragen hatte: um das Gesicht stramm wie ein Nonnenschleier, die Zipfel kreuzweise über die Schultern gelegt, so daß der Hals ganz verborgen war, mit vielen Falten auf den Seiten und über dem Haarknoten des Hinterkopfes. Im Norden galt es sozusagen als ein Zeichen der Frömmigkeit, sein Tuch auf diese Weise zu binden, die Erzbischof Eiliv stets als die sittsamste und züchtigste Art für verheiratete Frauen pries. Aber um nicht aufzufallen, hatte Kristin die neue Art hier im Süden angenommen, legte nun das Linnentuch glatt über den Kopf und ließ es hinten hinunterhängen, so daß vorne die Haare sichtbar wurden und Hals und Schultern frei blieben. Außerdem wurden die Zöpfe nur so hoch gebunden, daß sie nicht unter der Kante des Tuches hervorsahen, das Kopftuch sich jedoch weich an die Form des Kopfes anschmiegte. Simon hatte dies wohl früher an ihr gesehen und hatte gefunden, daß es sie kleide - aber er hatte trotzdem früher nicht gesehen, wie jung sie dadurch wurde. Und ihre Augen schimmerten wie Sterne.
Im Laufe des Tages kamen verschiedene Leute, die Erlend begrüßen wollten. Ketil von Skog, Markus Torgeirssohn, später am Abend Olav Kyrning selbst, Sira Ingolf und Herr Guttorm, ein Priester an der Havaldskirche. Als die beiden Priester unterwegs waren, hatte es zu schneien begonnen, ein trockener, feinkörniger Schnee, und sie waren vom Weg abgekommen und bei einem Acker in die Kletten geraten - ihre Kleider waren ganz davon besetzt. Alle waren eifrig dabei, die Kletten von den Priestern und ihren Begleitern abzulesen - Erlend und Kristin säuberten Herrn Guttorm, immer wieder wurden sie rot, und sie scherzten mit dem Priester, merkwürdig unsicher und mit bebender Stimme, wenn sie lachten.
Simon trank zu Anfang des Abends ziemlich viel, aber es stieg ihm nicht in den Kopf - er fühlte sich nur ein klein wenig schwer davon. Unheimlich scharf hörte er jedes Wort, das gesprochen wurde. Den anderen löste sich die Zunge - keiner von
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