Kristin Lavranstochter 1
gegeben werden.
Herr Andres besuchte mit seinen Kindern das große Fest, das zur Weihnachtszeit im Königshof begangen wurde. Kristin sah all den Staat und die Pracht, die dort herrschten - sie waren auch in der Halle, wo König Haakon saß und Frau Isabel Bruce, König Eiriks Witwe. Herr Andres trat vor und begrüßte den König, während seine Kinder und Kristin etwas weiter hinten standen. Sie dachte an alles, was Frau Aashild ihr gesagt hatte; sie erinnerte sich, daß der König Erlends naher Verwandter war, die Mütter ihrer Väter waren Schwestern -und sie war Erlends verführtes Weib, sie hatte kein Recht, hier zu stehen, und am allerwenigsten zwischen diesen guten und ehrbaren Menschen, zwischen Ritter Andres’ Kindern.
Da sah sie plötzlich Erlend Nikulaussohn - er war vor die Königin Isabel getreten, stand mit gesenktem Kopf, die Hand auf der Brust, während sie einige Worte zu ihm sagte; er trug das braune Seidengewand, das er bei dem Bauernfest angehabt hatte. Kristin trat hinter Herrn Andres’ Töchter.
Als Frau Angerd eine ziemliche Weile später ihre drei Töchter vor die Königin führte, sah Kristin ihn nirgends, aber sie wagte auch nicht, ihre Augen vom Boden zu erheben. Sie dachte, ob er wohl irgendwo in der Halle stehe, sie glaubte seinen Blick auf sich zu fühlen - aber sie glaubte auch, daß alle Menschen sie ansähen, als müßten sie merken, daß sie hier mit dem kleinen goldenen Kranz auf ihrem offenen Haar als eine Lügnerin dastehe.
Er war nicht in der Halle, wo die jungen Leute bewirtet wurden und wo sie tanzten, nachdem man die Tische weggenommen hatte. Kristin mußte an diesem Abend an Simons Hand tanzen.
An der einen Längswand stand ein Tisch, und dorthin trugen die Männer des Königs die ganze Nacht hindurch Bier und Met und Wein. Einmal, als Simon sie dorthin zog und ihr zutrank, sah sie, daß Erlend dicht bei ihr stand, hinter dem anderen. Er sah sie an, und Kristins Hand zitterte, als sie den Becher von Simon entgegennahm und an den Mund führte. Erlend flüsterte heftig auf den Mann ein, der in seiner Begleitung war - es war ein großer und wohlbeleibter schöner älterer Mann, der unwillig den Kopf schüttelte und ungehalten zu sein schien. Gleich darauf führte Simon sie zum Tanze zurück.
Sie wußte nicht, wie lange dieser Tanz währte - die Weise nahm kein Ende, und jeder Augenblick war lang und schmerzhaft vor Sehnsucht und Unruhe. Endlich war es vorüber, und Simon zog sie wieder zu dem Tisch mit den Getränken. Ein Freund kam vorbei und sprach mit ihm, führte ihn einige Schritte mit sich zu einer Gruppe junger Männer. Da stand Erlend vor ihr.
„Ich hätte dir so vieles zu sagen“, flüsterte er, „ich weiß nicht, was ich zuerst Vorbringen soll - in Jesu Namen, Kristin, was ist mit dir?“ fragte er hastig, denn er sah, wie sie weiß wie Kalk wurde.
Sie konnte ihn nicht deutlich sehen; es war, als sei fließendes Wasser zwischen ihren Gesichtern. Er nahm einen Becher vom Tisch, trank und reichte ihn ihr. Kristin dünkte er allzu schwer, oder ihr Arm war im Schultergelenk wie abgeschlagen; sie vermochte ihn nicht zum Mund zu heben.
„Steht es so, daß du mit deinem Bräutigam trinken willst, aber nicht mit mir?“ fragte Erlend leise; aber Kristin ließ den Becher fallen und sank nach vorne, in seinen Arm.
Sie erwachte, lag auf einer Bank, den Kopf im Schoße einer fremden Jungfrau. Man hatte ihren Gürtel und die Spange an ihrer Brust gelöst - jemand stand da und schlug ihr auf die Handflächen, und ihr Gesicht war naß.
Sie setzte sich auf. Irgendwo in dem Kreis um sie herum sah sie Erlends Gesicht, weiß und krank. Sie selbst fühlte sich so schwach, als wären alle Knochen geschmolzen, und der Kopf war gleichsam groß und hohl - aber irgendwo drinnen in ihr saß ein einziger klarer und verzweifelter Gedanke und leuchtete: Sie mußte mit Erlend sprechen.
Da sagte sie zu Simon Darre - er stand dicht bei ihr:
„Es war mir zu heiß - hier brennen so viele Kerzen, und ich bin es nicht gewöhnt, soviel Wein zu trinken.“
„Fühlst du dich jetzt wieder wohl?“ fragte Simon. „Du hast die Leute erschreckt. - Vielleicht willst du, daß ich dich jetzt heimbegleite?“
„Wir müssen wohl warten, bis deine Eltern gehen“, sagte Kristin ruhig. „Aber setz dich hierher - ich kann nicht mehr tanzen.“ Sie deutete auf das Polster neben sich - dann streckte sie ihre andere Hand zu ErIend aus.
„Setzt Euch hierher, Erlend Nikulaussohn, ich konnte
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