Kristin Lavranstochter 1
und Lassen wieder verantworten konnte.
Aber am Tage nach Neujahr erschien ganz unerwartet Herr Andres Darre mit seiner Hausfrau und allen fünf Kindern im Kloster. Sie wollten den letzten Teil der Weihnachtszeit mit Freunden und Verwandten in der Stadt feiern und kamen, um Kristin für einige Tage mit zu sich in die Herberge zu nehmen.
„Ich denke, meine Tochter“, sagte Frau Angerd, „du wirst nun kaum etwas dagegen haben, neue Gesichter um dich zu sehen.“
Die Leute von Dyfrin wohnten in einem schönen Gebäude, das in einem Hof nahe der Burg des Bischofs gelegen war - es gehörte Herrn Andres’ Vetter. Dort war ein großer Raum, wo die Dienstleute schliefen, und eine prächtige Giebelstube mit gemauertem Ofen und drei guten Betten; in dem einen lagen Herr Andres und Frau Angerd mit ihrem jüngsten Sohn, Gudmund, der noch ein Kind war, im andern schlief Kristin mit den beiden Töchtern, Astrid und Sigrid, und im dritten Simon und sein ältester Bruder, Gyrd Andressohn.
Alle Kinder des Herrn Andres waren schön und Wohlgestalt, Simon am wenigsten, aber dennoch sagten die Leute auch von ihm, daß er gut aussehe. Und Kristin merkte noch mehr als im Jahre zuvor auf Dyfrin, daß sowohl die Eltern als auch seine vier Geschwister am meisten auf Simon hörten und alles taten, was er wünschte. Alle Verwandten liebten einander herzlich und waren ohne Neid darin einig, Simon den ersten Platz unter sich einzuräumen.
Jetzt lebten diese Menschen in Herrlichkeit und Freuden, besuchten die Kirchen und opferten jeden Tag, trafen einander jeden Abend zum Trinken bei Freundschaftsgelagen, und die Jungen konnten spielen und tanzen. Alle erzeigten Kristin die größte Freundlichkeit, und niemand schien zu merken, wie wenig froh sie war.
Am Abend, wenn das Licht im Schlafraum erloschen war und alle ihr Lager aufgesucht hatten, pflegte Simon aufzustehen und zu dem Bett hinzugehen, in dem die Mädchen lagen. Er saß gerne eine Weile auf der Bettkante; die Worte richtete er meist an seine Schwestern, aber im Dunkeln listete sich seine Hand auf Kristins Brust und blieb dort ruhen. - Widerwillen trieb ihr den Schweiß aus den Poren.
Nun, da ihre Sinne geschärft waren, begriff sie wohl, daß es viele Dinge gab, die zu sagen Simon zu stolz und zu scheu war, seit er gemerkt hatte, daß sie nicht darauf eingehen wollte. Und sie fühlte einen seltsam bitteren Zorn gegen ihn, weil es sie dünkte, er wollte sich zu einem besseren Mann machen, als jener war, der sie genommen hatte - obwohl er ja nicht wußte, daß es diesen anderen gab.
Aber eines Abends, an dem sie weggewesen waren und getanzt hatten, waren Astrid und Sigrid bei den Freunden geblieben und wollten bei einer Spielkameradin schlafen. Als die von Dyfrin im Laufe der Nacht in ihrem Dachraum zur Ruhe gekommen waren, ging Simon zu Kristins Bett und legte sich hinein ; er legte sich auf die Felldecke.
Kristin zog die Decke bis ans Kinn hinauf und kreuzte ihre Arme fest über der Brust. Bald kam Simon mit seiner Hand und wollte sie ihr auf die Brust legen. Sie fühlte die Seidennähte seines Ärmels und merkte, daß er sich nicht ausgekleidet hatte.
„Du bist im Dunkeln ebenso scheu wie bei Tage, du, Kristin“, sagte Simon und lachte ein wenig. „Deine eine Hand kannst du mir doch wohl geben?“ fragte er, und Kristin streckte ihm die Fingerspitzen hin. „Dünkt dich nicht, wir könnten manches zu besprechen haben, da es sich nun so trifft, daß wir eine kleine Weile allein sein können“, meinte er, und Kristin dachte, nun müsse sie reden. So antwortete sie ja. Aber dann vermochte sie kein Wort mehr hervorzubringen.
„Darf ich nicht unter das Fell schlüpfen“, bat er wieder. „Hier in der Stube ist es jetzt kalt.“ Und er kroch hinein zwischen das Fell und die wollene Decke, die sie auf dem bloßen Körper hatte, bog einen Arm um ihr Kopfkissen, aber so, daß er sie nicht berührte. So lagen sie einige Zeit.
„Du bist nicht leicht zu umwerben“, sagte Simon bald darauf und lachte und gab es auf, „nun verspreche ich dir, daß ich dich nicht einmal küssen will, wenn dir das zuwider ist. Aber du kannst doch wohl mit mir sprechen?“
Kristin feuchtete die Lippen mit der Zungenspitze an, schwieg aber trotzdem.
„Ich glaube, du liegst da und zitterst“, fing Simon wieder an. „Es wird doch wohl nicht so sein, daß du etwas gegen mich hast,
Kristin?“
Es schien ihr, daß sie Simon nicht anlügen könne, so sagte sie nein, aber mehr nicht.
Simon blieb
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