Kristin Lavranstochter 1
noch eine Weile liegen; er versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber schließlich lachte er wieder
und sagte:
„Ich verstehe, du meinst, ich müsse mich damit begnügen, daß du nichts gegen mich hast - für heute abend -, und damit zufrieden sein. Du bist sehr stolz und... Du mußt mir dennoch einen Kuß geben, dann werde ich gehen und dich nicht länger plagen.“
Er nahm sich den Kuß, richtete sich auf und setzte die Füße auf den Boden. Kristin dachte, nun werde sie ihm sagen, was gesagt werden mußte - da war er bereits an seinem Bett, und sie hörte, daß er sich entkleidete.
Am Tag darauf war Frau Angerd nicht so freundlich zu Kristin, wie sie zu sein pflegte. Das junge Mädchen begriff, daß die Frau etwas gehört haben mußte und nun meinte, die Braut habe den Sohn nicht so aufgenommen, wie die Mutter fand, daß sie es hätte tun sollen.
Gegen Nachmittag sprach Simon davon, daß er vorhabe, von einem Freunde ein Pferd einzutauschen. Er fragte Kristin, ob sie mitkommen und es ansehen wolle. Sie antwortete ja, und so gingen sie miteinander in die Stadt.
Das Wetter war frisch und schön. Es hatte in der Nacht ein wenig geschneit, jetzt aber schien die Sonne, und es fror gerade genug, daß der Schnee unter ihren Füßen knirschte. Kristin tat es wohl, in die Kälte hinauszukommen und zu gehen, und als Simon das Pferd, das er im Sinn hatte, herausholte, redete sie ziemlich lebhaft mit ihm darüber; sie verstand sich ein wenig auf Pferde, denn sie war immer soviel mit ihrem Vater zusammen gewesen. Und dieses hier war ein schönes Tier: ein mausgrauer Hengst mit einem schwarzen Streifen über dem Rücken und über der kurzgeschnittenen Mähne, wohlgebaut und lebendig, aber ziemlich klein und schmächtig.
„Der hält unter einem vollbewaffneten Mann nicht lange aus“, meinte Kristin.
„Nein, dazu habe ich ihn auch nicht bestimmt“, sagte Simon.
Er zog ihn auf den Anger hinter den Häusern hinaus, ließ ihn traben und Schritt gehen, ritt darauf und wollte auch, daß Kristin ihn reiten solle. Sie blieben deshalb lange Zeit draußen auf dem weißen Anger.
Zum Schluß, als Kristin dem Pferd Brot gab, während Simon sich mit dem Arm über seinen Rücken lehnte, sagte er plötzlich:
„Mich dünkt, Kristin, daß ihr, du und meine Mutter, euch nicht recht versteht.“
„Es war nicht meine Absicht, unfreundlich gegen deine Mutter zu sein“, gab sie zur Antwort, „aber ich weiß nichts mit Frau Angerd zu reden.“
„Du scheinst auch mit mir nichts zu reden zu haben“, sagte Simon. „Ich will mich dir nicht aufdrängen, Kristin, ehe die Zeit gekommen ist - aber es kann doch auch nicht so weitergehen, daß ich nie mit dir sprechen darf.“
„Ich bin nie redselig gewesen“, erwiderte Kristin, „das weiß ich selbst, und ich erwarte nicht, daß es dich ein großer Verlust dünken würde, wenn aus uns beiden nichts würde.“
„Du weißt gut, wie ich über diese Sache denke“, entgegnete Simon und sah sie an.
Kristin wurde rot wie Blut. Und sie fühlte erschrocken, daß sie auch Simon Darres Werbung nicht ungerne hörte. Da sagte er kurz darauf:
„Ist es Arne Gyrdssohn, Kristin, den du nicht vergessen kannst?“ Kristin starrte ihn an; Simon fuhr fort, und seine Stimme war mild und gut: „Ich will dir das nicht zur Last legen - ihr seid wie Geschwister aufgewachsen, und es ist erst kaum ein Jahr vergangen. Aber du kannst getrost darauf bauen, daß ich dir wohl will.“
Kristins Gesicht war ganz weiß geworden. Keiner von ihnen sprach, als sie in der Dämmerung durch die Stadt zurückgingen. Am Ende der Straße, in der grünblauen Luft, stand die Mondsichel mit einem blanken Stern im Schoße. Ein Jahr, dachte Kristin, und es dünkte sie, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wann sie Arne zuletzt einen Gedanken geschenkt hatte. Sie erschrak - vielleicht war sie ein leichtes und loses, schlechtes Weib -, ein Jahr war es her, daß sie ihn auf der Bahre gesehen hatte, daß sie geglaubt hatte, sie würde nie wieder im Leben froh werden; sie stöhnte leise vor Furcht über die Unbeständigkeit ihres eigenen Herzens und angesichts der Vergänglichkeit aller Dinge. Erlend, Erlend - könnte er sie vergessen? Und dennoch schien es ihr schlimmer, sollte sie ihn jemals vergessen können.
1
Während das Gesetz die Adoption unehelicher Abkömmlinge verhältnismäßig leicht machte, wenn beide Eltern unverheiratet waren, konnten den Kindern aus einem ehebrecherischen Verhältnis keine Rechte
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