Kristin Lavranstochter 2
Getreidefeld.
„Willst du mir das ganze Geröll in meinen Acker werfen?“ fragte Simon lachend und machte seine Stimme barsch. Gyrd sprang auf, leicht und frei, reichte seine Hand dem Bruder, dem das Aufstehen schwerer fiel.
Simon behielt, als er auf die Füße gekommen war, die Hand des Bruders einen Augenblick in der seinen. Dann legte er seine eigene dem andern auf die Schulter. Da tat Gyrd desgleichen. So gingen die beiden Brüder, die Hände lose gegenseitig auf die Schultern gelegt, langsam den Hang zum Hof hinauf.
Am Abend saßen sie miteinander drüben in der Saemundsstube - Simon sollte bei dem Bruder schlafen. Die Abendgebete hatten sie gesprochen, aber sie wollten den Bierkrug noch leeren, ehe sie sich zur Ruhe begaben.
„Benedictus tu in muliebris - mulieribus... Weißt du noch?“ lachte Simon plötzlich.
„Ja - es hat mich viele Prügel gekostet, bis es Sira Magnus gelang, mir die Irrlehren meiner Vatermutter auszutreiben ...“ Gyrd lächelte bei dieser Erinnerung. „Eine harte Hand hatte er, wie der Teufel. Erinnerst du dich, Bruder, einmal saß er da und kratzte sich an den Waden und hatte den Rock seines Gewandes aufgehoben - da sagtest du mir ins Ohr, wenn du auch so häßliche Waden hättest wie Magnus Ketilssohn, wärst du auch Priester geworden und auch stets im langen Rock gegangen.“
Simon lächelte - er glaubte plötzlich, das Knabengesicht des Bruders zu sehen, dem Platzen nahe vor verhaltenem Lachen, mit kranken, bedauernswerten Augen; sie waren damals noch kleine Jungen, und Sira Magnus hatte eine derbe Hand, wenn er züchtigte.
Sehr klug war Gyrd nicht gewesen, als sie Kinder waren. Ja, daß Simon Gyrd liebte, hatte ja auch nicht seinen Grund darin, daß er jetzt ein kluger Mann war. Aber Simon stieg es heiß auf vor Dank und Zuneigung zu dem Bruder, wie er so dasaß -für jeden Tag ihrer Brüderschaft seit bald vierzig Jahren -, denn Gyrd war, so wie er war, der getreueste, zuverlässigste aller Männer.
Daß er seinen Bruder Gyrd zurückerhalten hatte, verlieh Simon das Gefühl, als habe er wenigstens mit dem einen Fuß festen Halt gewonnen, denn jetzt war sein Leben lange Zeit hindurch ganz unwahrscheinlich verkehrt und verwirrt gewesen.
Ganz warm durchlief es ihn jedesmal, wenn er an Gyrd dachte, der zu ihm gekommen war, um das wiedergutzumachen, was er selbst verbrochen hatte, als er im Zorn und mit bösen Worten vom Hof des Bruders weggeritten war. Ein Überschuß von Dankbarkeit stieg in seinem Gemüt auf - er hatte mehr zu danken als Gyrd.
Ein Mann wie Lavrans - wie der ein solches Geschehnis hingenommen hätte, wußte er wohl. Er konnte seinem Schwiegervater so weit folgen, wie er dazu taugte - mit Almosengeben und Ähnlichem. Aber bis zur Zerknirschung und zur Betrachtung der Wunden des Herrn brachte er es nicht, nicht ohne daß er das Kruzifix bis zur Bewußtlosigkeit anstarrte - und das war es nicht, was Lavrans gemeint hatte. Reuetränen brachte er nicht zustande; er hatte wohl nicht mehr als zwei- oder dreimal geweint, seitdem er der Kindheit entwachsen war, und niemals dann, wenn er es am ehesten hätte tun sollen: damals, als er in große Schwierigkeiten geriet - mit Arngjerds Mutter, während er verheiratet war, und dann bei dieser Sache mit dem getöteten Mann im vergangenen Jahre. Trotzdem hatte er tief bereut -ihn dünkte, er bereue seine Sünden doch stets von Herzen, beichte sie sorgfältig und sühne sie genau nach dem Gebot des Priesters. Er sprach stets fleißig seine Gebete, achtete darauf, den richtigen Zehent und reichlich Almosen zu geben mit besonders offener Hand zu Ehren des Apostels Sankt Simon, zu Ehren Sankt Olavs, Sankt Mikkaels und der Jungfrau Maria. Im übrigen gab er sich mit dem zufrieden, was Sira Eirik sagte, nämlich, daß allein im Kreuz Erlösung sei und daß darüber, wie ein Mann sonst dem Feind entgegentreten und mit ihm kämpfen solle, Gott bestimme und nicht er selbst.
Jetzt aber fühlte er ein Bedürfnis, seine Dankbarkeit dem Heiligen gegenüber etwas inniger zu bezeigen. Seine Mutter hatte gesagt, er sei am Geburtstag der Jungfrau Maria geboren - nun dachte er, er wolle der Mutter des Herrn gerne seine Ehrfurcht durch ein Gebet zu erkennen geben, das er nicht für alltags zu beten pflegte. Zu der Zeit, da er am Königshof weilte, hatte er sich ein schönes Gebet aufschreiben lassen, und er suchte nun die kleine Pergamentrolle hervor.
Jetzt hinterher fürchtete er, es sei damals wohl mehr König Haakon zuliebe
Weitere Kostenlose Bücher