Kristin Lavranstochter 2
voneinander scheiden könnten - wie christliche Eheleute ...“
Immer und immer wieder rief sie ihn beim Namen, er aber lag da, mit geschlossenen Augen, bleich wie frischgespaltenes Holz unter dem grauen Haar. Ein wenig Blut sickerte aus den Mundwinkeln; sie wischte es weg und beruhigte ihn flüsternd - wenn sie sich bewegte, fühlte sie ihr Kleid kalt und naß an ihrem Körper kleben, von dem Blut, das sie an sich gebracht hatte, als sie ihn ins Haus führte und zu Bett legte. Von Zeit zu Zeit röchelte es ein wenig in Erlends Brust, und er schien nur mit Mühe atmen zu können-aber er hörte nicht mehr und fühlte gewiß nichts, während er gleichmäßig und unweigerlich dem Tod entgegensank.
Jäh wurde die Türe aufgerissen. Naakkve kam rasch herein, warf sich vor dem Bett hin, umfaßte die Hände des Vaters, während er seinen Namen rief.
Nach ihm trat ein großer und starker Herr im Reiseumhang ein. Er verbeugte sich vor Kristin.
„Hätte ich das gewußt, meine Verwandte, daß Ihr Hilfe von Euerer Sippe braucht“, er brach ab, als er sah, daß Erlend im Sterben war, bekreuzigte sich und zog sich in den fernsten Winkel des Raumes zurück. Leise begann der Sundbu-Ritter das Gebet für Sterbende zu sprechen, aber Kristin schien das Kommen Herrn Sigurds nicht einmal bemerkt zu haben,
Naakkve lag auf den Knien, über das Bett gebeugt.
„Vater! Vater! Erkennst du mich nicht mehr, Vater!“ Er näherte sein Gesicht Erlends Hand, die Kristin noch in der ihrigen hielt. Die Tränen und Küsse des jungen Mannes strömten auf die Hände der Eltern herab.
Kristin schob den Kopf ihres Sohnes ein wenig zur Seite - als erwache sie nur halb.
„Du störst uns“, sagte sie ungeduldig, „geh weg von hier ...“
Naakkve richtete sich auf seinen Knien auf.
„Gehen? Mutter?“
„Ja - setz dich zu deinen Brüdern dort...“
Naakkve hob sein junges Antlitz - naß von Tränen, verzerrt von Kummer -, aber die Augen der Mutter sagten nichts. Da ging er zu der Bank, auf der schon die sechs Brüder saßen. Kristin bemerkte es nicht - sie starrte nur unbeweglich mit wilden Augen in Erlends Gesicht, das jetzt im Kerzenschein schneeweiß leuchtete.
Bald darauf wurde die Tür abermals geöffnet. Mit Licht und mit klingender Silberglocke begleiteten Diakone und ein Priester den Bischof, Herrn Halvard, in den Raum. Ulv Haldorssohn trat als letzter ein. Erlends Söhne und Herr Sigurd standen auf und beugten das Knie vor dem Leib des Herrn. Kristin aber hob den Kopf nur ein wenig - wandte ihre verweinten Augen, die nichts sahen, den Kommenden nur einen Augenblick zu. Dann sank sie wieder hin, wie sie vorher gelegen hatte, über Erlends Leiche geworfen.
DAS KREUZ
1
Alle Feuer brennen nach und nach aus.
Es kam eine Zeit, da diese Worte Simon Darres in Kristins Herzen wieder aufklangen.
Das war im Sommer des vierten Jahres nach Erlend Nikulaussohns Tod, und von der Söhneschar lebten nur noch Gaute und Lavrans bei der Mutter auf Jörundhof.
Zwei Jahre vorher war die alte Schmiede abgebrannt, und Gaute hatte eine neue errichtet, nördlich des Hofes, gegen den Hauptweg zu gelegen. Die alte Schmiede hatte südlich der Häuser in der Richtung des Flusses in einer Bodensenke zwischen dem Jörundhügel und einigen mächtigen Haufen von Steinen gestanden, die in früheren Zeiten aus den Äckern weggeräumt worden waren. Beinahe jedes Jahr stieg das Wasser bei der Frühjahrsüberschwemmung bis ganz zur Schmiede hinauf.
Jetzt war nichts mehr davon übrig als die von der Glut zersprengten riesigen Steinfliesen, die erkennen ließen, wo die Türe gewesen war. und außerdem die gemauerte Feuerstätte. Feines und weiches hellgrünes Gras wuchs jetzt aus der mit Kohle bedeckten Erde empor.
Kristin Lavranstochter hatte dieses Jahr in der Nähe des alten Schmiedeplatzes ihren Flachs anbauen lassen, Gaute wollte das Getreide auf den näher beim Hof gelegenen Äckern haben, wo die Hausfrauen von Jörundhof seit undenklichen Zeiten ihren Flachs gesät und ihre Zwiebeln gebaut hatten. Und Kristin mußte oft hierhergehen, nicht nur, um nach ihrem Flachs zu sehen. Jeden Donnerstagabend brachte sie dem Urbauern im Hügel ihre Gabe, bestehend aus Bier und einer Speise; an hellen Sommerabenden sah dann diese einsame Feuerstätte in der Wiese, die dort im Gras hervorschimmerte, grauweiß und von Ruß geflammt, wie ein uralter heidnischer Altar aus. An glühendheißen Sommertagen ging sie mit ihrem Korb um die Mittagszeit zu den Geröllhaufen, um
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