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Kristin Lavranstochter 2

Titel: Kristin Lavranstochter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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dort Himbeeren zu pflücken oder die
    Blätter des Weiderichs zu sammeln, aus denen man einen so guten Labetrunk gegen das Fieber bereiten kann.
    Die letzten Töne des mittäglichen Glockengrußes an die Mutter Gottes starben in der lichtgesättigten Luft zwischen den Bergen dahin. Das Tal schien sich unter dem flutend-weißen Sonnenschein zur Ruhe zu legen. Seit dem tauigen Morgengrauen hatten das Singen der Sensen in der blumigen Wiese, das Scharren des Wetzsteins gegen Eisen und rufende Stimmen nah und fern von allen Höfen die Luft erfüllt. Jetzt verstummten alle Laute geschäftiger Arbeit, die Mittagsruhe senkte sich herab. Kristin saß mitten zwischen den Steinhaufen und lauschte. Nur das Flußrauschen war jetzt zu hören und das Laub im Hain, das sich ein wenig bewegte; ganz leises Knistern und das Summen von Fliegen lagen über der Wiese, Glockengeläute von irgendeiner vereinzelten Kuh in weiter Ferne. Ein Vogel verfolgte seinen Weg, rasch und stumm, am Rand des Erlengebüsches entlang, ein anderer flog von der Wiese auf und strich mit lautem Gezwitscher auf eine Distel zu.
    Aber die treibenden blauen Schatten über dem Hang, die Gutwetterwolken, die hinter dem Gebirgsrand aufquollen und an dem blauen Sommerhimmel zerschmolzen, das Glitzern des Flusses hinter den Bäumen, das weiße Blitzen des Sonnenlichtes auf allem Laub - diese Dinge schienen ihr eher der Laut der Stille zu sein, hörbar für ein inneres Ohr, als Wahrnehmungen des Auges. Das Kopftuch zum Schutz gegen die Sonne über die Stirn herabgezogen, so saß Kristin da und lauschte dem Spiel des Lichtes und der Schatten über dem Tal.
    Alle Feuer brennen nach und nach aus ...
    In dem Erlenwald längs dem moorigen Flußufer blitzten Wasserpfützen in der Dunkelheit zwischen den dichten Weidenbüschen auf. Hier wucherten starres Gras und kleine Hügel von Moosdaunen, am dichtesten aber wuchs der Moorhut, der mit den graugrünen, fünfzackigen Blättern und den rotbraunen Blüten einen ganzen Teppich bildete. Kristin hatte eine schwere Last davon gepflückt. Gar oftmals hatte sie darüber nachgedacht, ob nicht dieser Wurzel irgendeine nützliche Kraft innewohne: sie hatte sie getrocknet und abgekocht und Bier und Met dazugetan, aber sie schien nicht verwendbar zu sein. Trotzdem konnte Kristin nie umhin, ins Moor hinauszugehen und ihre Schuhe naß zu machen, um diese Pflanze zu sammeln.
    Jetzt zupfte sie alle Blätter von den Stengeln und flocht aus den dunklen Blütenköpfen einen Kranz. Die Farbe der Blüten glich rotem Wein und braunem Met; innen, unter dem roten Büschel der Staubfäden, waren sie feucht wie von Honig. Manchmal flocht Kristin aus diesen Blumen einen Kranz für das Bild der Jungfrau Maria in der Stube im Oberstockwerk. So pflegte man in den südlichen Ländern zu tun, hatte sie von Priestern gehört, die dort gewesen waren.
    Sonst besaß sie jetzt niemand, dem sie hätte Kränze winden können. Hier im Tal pflegten die jungen Burschen sich nicht mit Kränzen zu schmücken, wenn sie zum Tanz auf die große Wiese gingen. Im Drontheimischen hatten die Männer, die vom Königsgefolge heimkehrten, an einigen Orten diesen Brauch eingeführt. Kristin dachte, dieser dicke schwarzrote Kranz würde Gautes hellem Gesicht und flachsblondem Haar gut gestanden haben - oder Lavrans mit seiner nußbraunen Mähne.
    Ewig lange war es her, seit sie mit den Kindsmägden und allen ihren kleinen Söhnen in den sommerlangen Tagen auf die Wiese oberhalb Husabys gegangen war. Damals konnten sie und Frida alle die Kränze für die vielen ungeduldigen Kinder nicht rasch genug anfertigen. Sie erinnerte sich, wie sie Lavrans noch an der Brust hatte, Ivar und Skule aber meinten, daß auch der Kleine einen Kranz haben müsse - er sollte aber aus ganz kleinen Blumen sein, meinten die vierjährigen Burschen.
    Jetzt hatte sie nur erwachsene Kinder.
    Der kleine Lavrans war fünfzehn Winter alt. Ihn konnte man wohl noch nicht für voll erwachsen ansehen. Aber der Mutter war mit der Zeit bewußt geworden, daß dieser Sohn ihr von allen Kindern am fernsten stand. Zwar hielt er sich ihr nicht absichtlich fern, so wie Björgulv es getan hatte, war nicht verschlossen und schien nicht so schweigsam zu sein wie der blinde Knabe. Sicherlich aber war er noch viel schweigsamer - nur hatte das niemand bemerkt, solange alle Brüder daheim lebten: er war hell und gesund, schien stets munter und sanft, und alle hatten das freundliche Kind gern, ohne weiter darüber nachzudenken;

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