Kristin Lavranstochter 2
seinem Berghof glitten an ihr vorüber - sie beide verjüngt, das kleine Kind zwischen ihnen. Aber sie empfand dabei keine Reue und auch keine Trauer. Sie selbst hatte ihr Leben nicht von dem der Söhne zu trennen vermocht, jetzt würde der Tod sie bald voneinander scheiden, denn ohne Erlend besaß sie keine Lebenskraft. Alles, was sich zugetragen hatte und was sich zutragen würde, war Bestimmung - alles geschieht so, wie es bestimmt ist.
Ihr Haar und ihre Haut wurden grau, sie nahm sich kaum die Mühe, auf sich zu achten oder die Kleider ordentlich anzuziehen. Nachts lag sie da und dachte an ihr Leben mit Erlend, tagsüber ging sie wie im Traum umher, redete nie mit einem Menschen, ohne gefragt zu sein, schien es nicht einmal zu hören, wenn die kleinen Söhne mit ihr sprachen. Die tüchtige und achtsame Frau rührte keine Hand mehr zu einer Arbeit. Hinter all ihrem Bemühen mit zeitlichen Dingen hatte die Liebe gestanden - Erlend hatte ihr dafür nicht viel Dank gewußt. Es war dies nicht die Art, auf die er geliebt werden wollte. Aber sie konnte es nicht sein lassen; es war ihre Natur, mit soviel Arbeit und Fürsorge zu lieben. Sie schien nahe daran, in einen todesähnlichen Schlaf zu versinken. Da kam eine Seuche ins Tal, warf ihre Söhne aufs Krankenlager, und die Mutter erwachte.
Die Seuche war für Erwachsene gefährlicher als für Kinder. Ivar ergriff sie so heftig, daß niemand glaubte, er würde sie überstehen. Der große Knabe bekam Riesenkräfte während des Fiebers, er brüllte, wollte aufstehen und seine Waffen ergreifen - der Tod des Vaters schien seine Gedanken zu bedrängen. Mit Mühe und Not gelang es Naakkve und Björgulv, ihn zurückzuhalten. Dann wurde auch Björgulv krank. Lavrans lag da, das Gesicht von einem Ausschlag bis zur Unkenntlichkeit aufgeschwollen, die Augen blinzelten tot aus zwei schmalen Spalten hervor - schienen im glühenden Fieber ausbrennen zu müssen.
Die Mutter wachte über diesen drei Kindern. Naakkve und Gaute hatten die Krankheit in früheren Jahren durchgemacht, und Skule war viel weniger krank als die Brüder. Frida hütete ihn und Munan in der darunterliegenden Stube. Niemand glaubte, daß für Munan eine Gefahr bestände, aber sehr kräftig war er nie gewesen, und eines Abends, nachdem sie bereits gedacht hatten, er sei beinahe gesund, fiel er plötzlich in Ohnmacht. Frida konnte gerade noch die Mutter zu Hilfe rufen -Kristin kam eilends herunter, und gleich darauf gab Munan in ihren Armen seinen Geist auf.
Der Tod des Kindes erweckte sie zu einer neuen hellwachen Verzweiflung. Ihre wilde Trauer um den Säugling, der von der Mutterbrust wegstarb, war gleichsam rosig gefärbt gewesen von all der Erinnerung an die vernichteten Glücksträume. Damals trug der Sturm in ihrem Herzen Kristin empor. Und die äußere Spannung, die damit endete, daß Kristin sah, wie man ihren Mann vor ihren eigenen Augen tötete, hinterließ solch eine Müdigkeit in ihrer Seele, daß sie selbst sicher glaubte, sie würde bald vor Kummer über Erlend sterben. Diese Gewißheit aber nahm dem Schmerz seinen Stachel. Sie lebte dahin und fühlte, wie Dämmerung und Schatten rings um sie emporwuchsen, während sie darauf wartete, daß sich auch ihr die Tür öffnen würde.
Vor Munans kleiner Leiche stand die Mutter wach und grau. Der schöne süße kleine Knabe war durch so viele Jahre hindurch ihr kleinstes Kind gewesen, der letzte Kleine, den sie noch zu liebkosen wagte und über den sie lachen durfte, wenn sie streng und ernsthaft hätte sein sollen und ihn um seiner kleinen Missetaten und Gedankenlosigkeiten willen hätte zurechtweisen müssen. Und er war so liebevoll gewesen und hatte seine Mutter so gern gehabt. Sie empfand es wie einen Schnitt ins lebendige Fleisch - so sehr war sie noch mit dem Leben verbunden! So leicht, wie sie geglaubt hatte, konnte eine Frau nicht sterben, wenn sie ihr Lebensblut in so viele neue junge Herzen gegossen hat.
In kalter, nüchterner Verzweiflung ging sie zwischen dem Kind auf dem Totenbett und den kranken Söhnen hin und her. Munan lag in der Altstube, wo zuerst das kleine Kind und dann der Vater gelegen hatten - drei Leichen auf ihrem Hof in weniger als einem Jahr. Mit einem vor Angst verwelkten Herzen, aber starr und stumm, wartete sie darauf, daß der nächste sterben würde - sie wartete darauf wie auf ein unabwendbares Schicksal. Sie hatte nie genügend anerkannt, was sie erhielt, als Gott ihr so viele Kinder schenkte. Und das schlimmste war,
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