Kristin Lavranstochter 2
sie oben auf ihrer Alm lebte, hatte er sie des Nachts mehrere Male besucht. Aber er hatte nie den Versuch gemacht, zudringlich zu ihr zu sein. Sie wußte genau, was die Leute sonst über Naakkve sagten - sie hatte er nie gekränkt, weder mit Worten noch mit Taten. Aber er hatte ein paarmal neben ihr auf dem Bett gelegen, über dem Fell, und sie hatten miteinander gesprochen. Dann hatte sie ihn einmal gefragt, ob es seine Absicht sei, um sie zu freien. Darauf antwortete er, daß er dies nicht könne, er habe sich dem Dienst der Jungfrau Maria gelobt. Dasselbe sagte er einmal in diesem Frühjahr, als sie miteinander sprachen. Da wollte sie sich nicht länger dem Wunsch ihres Vaters und ihres Großvaters widersetzen.
„Übel wäre es euch beiden wohl ergangen, hätte er sein Gelübde gebrochen und hättest du deinen Verwandten getrotzt“, sagte Kristin. Sie stand da, auf ihren Rechen gestützt, und betrachtete das junge Mädchen: ein sanftes und schönes, rundes Gesicht hatte dieses Kind und einen schweren hellen Zopf aus dem schönsten Haar. „Gott wird es dir gewiß zum Glück gereichen lassen, meine Tordis - er scheint ein kühner, guter Bursche zu sein, dein Verlobter.“
„Ja, ich kann Haavard gut leiden“, sagte das Mädchen - und dann brach sie in bitterliches Weinen aus.
Kristin tröstete sie mit Worten, wie sie sich für den Mund einer alten und verständigen Frau geziemten. In ihrem Inneren klagte es vor Sehnsucht - wie gerne würde sie dieses gute frische Kind ihre Tochter genannt haben.
Nach Ivars Hochzeit blieb Kristin einige Zeit auf Rognheim. Signe Gamalstochter war nicht schön und sah recht verbraucht und alt aus, aber sie war freundlich und von angenehmem Wesen. Sie schien ihren jungen Gemahl mit inniger Zärtlichkeit zu lieben, und seine Mutter und seine Brüder empfing sie, als dächte sie, diese stünden so hoch über ihr, daß sie ihnen in keiner Weise genug dienen und Ehre erweisen könnte. Für Kristin war es etwas ganz Neues, daß ein Mensch von seinem Wege abwich, um ihre Wünsche zu erraten und es ihr in allem recht zu machen. Nicht einmal in der Zeit, da sie die reiche Frau auf Husaby war, die über zahlloses Gesinde verfügte, hatte ihr jemand auf eine Art gedient, die erkennen ließ, daß man an die Behaglichkeit oder das Wohlbefinden der Herrin dachte. Kristin hatte sich nie geschont, während sie der ganzen Arbeit im Haus Vorstand, und kein anderer war auf den Gedanken gekommen, daß sie geschont werden müsse. So tat ihr Signes dienstbereite Fürsorge für ihr Wohlbefinden in der Zeit, da sie auf Rognheim weilte, sehr wohl; sie gewann Signe bald so lieb, daß sie beinahe ebensosehr darum betete, Signe möge es nie bereuen müssen, sich selbst und ihren ganzen Besitz einem so jungen Gemahl hingegeben zu haben, wie sie darum betete, Gott möge Ivar in seiner Ehe Glück bescheren.
Gleich nach der Mikalsmesse zogen also Naakkve und Björgulv nach Norden ins Drontheimische. Alles, was Kristin seitdem von ihnen gehört hatte, war die Nachricht, daß sie gesund nach Nidaros gekommen seien und daß man sie als Novizen in die Brüderschaft auf Tautra aufgenommen habe.
Und jetzt hatte Kristin bald ein volles Jahr mit nur zweien ihrer Söhne auf Jörundhof gelebt. Sie wunderte sich selbst -daß es nicht länger war. Denn an dem Tage im vorigen Herbst, als sie an der Kirche vorüberritt und dort hinunterblickte, wo die Wiesen unter einer Decke kalten Nebels lagen, so daß sie die Häuser ihres eigenen Hofes nicht unterscheiden konnte -Kristin hatte die beiden Ältesten bis nach Dovre begleitet dachte sie, ein solches Gefühl müsse der haben, der zu seinem Heim reitet und weiß, daß die Häuser unter Asche und kalten Kohlen liegen.
Jetzt, wenn sie den alten Pfad einschlug, der an dem Platz der früheren Schmiede vorbeiführte - dies Jahr war er beinahe zugewachsen, und kleine Kissen von Labkraut, Glockenblumen und Wicken drängten sich vom Rand der Wiese herein meinte sie fast, ein Bild ihres eigenen Lebens zu sehen: die verwitterte und rußige alte Feuerstätte, auf der nie wieder ein Feuer entzündet werden sollte; der Platz ringsum war mit kleinen Kohlenstückchen übersät, aber überall sproßte feines, kurzes und glänzendes Gras auf der Brandstätte hervor. Und in den Rissen der alten Feuerstätte blühte der Weiderich, der seinen Samen überallhin verstreut, mit langen prächtigroten Blütenbüscheln.
2
Es kam vor, daß Kristin oft, wenn sie schon zur Ruhe gegangen war, noch
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