Kristin Lavranstochter 2
Zwillinge eben erst zur Welt gekommen, und Frida, die Skule nährte, hatte viel mehr Milch, als der Säugling trinken konnte. Aber die Magd schrak vor dem kranken Kopf zurück; Gaute sah häßlich aus mit dem großen Kopf, dem schwachen und welken Körper, konnte weder sprechen noch auf den Beinen stehen - sie fürchtete, er wäre vielleicht ein Wechselbalg, obgleich das Kind bis zu seiner Krankheit im Alter von zehn Monaten gesund und schön gewesen war. Trotzdem weigerte sich Frida, Gaute an ihre Brust zu legen, da mußte Kristin ihn selber nehmen, und er durfte bei seiner Mutter trinken, bis er vier Winter alt war.
Seit der Zeit hatte Frida Gaute nicht leiden können; stets hatte sie nach ihm gehackt, sooft sie es um der Mutter willen wagte. Jetzt saß Frida als erste neben der Hausfrau auf der Frauenbank und trug die Schlüssel, wenn Kristin von daheim abwesend war. Sie sagte alles zu ihrer Dienstherrschaft, was ihr nur einfiel; Kristin hatte Nachsicht mit ihr und lachte über die Magd, obgleich sie sich oft auch über sie ärgerte - trotzdem versuchte sie stets wiedergutzumachen und alles auszugleichen, wenn Frida etwas falsch gemacht hatte oder zu dreist gewesen war. Jetzt war es für Frida sehr schwer, mit anzusehen, wie Gaute im Hochsitz saß und nun Herr auf dem Hof sein sollte. Sie tat so, als betrachte sie ihn immer noch als einen unverständigen Jungen, prahlte mit seinen Brüdern, hauptsächlich aber mit Björgulv und Skule, die sie genährt hatte, und lachte Gaute wegen seiner kleinen Gestalt und seiner krummen Beine aus. Gaute nahm dies gutmütig hin.
„Ja, du kannst dir denken, Frida, hätte ich bei dir trinken dürfen, so wäre ich wohl auch so ein Riese geworden wie meine Brüder, aber ich mußte mich eben mit der Brust meiner Mutter begnügen“, und er lächelte Kristin zu.
Oft ergingen Mutter und Sohn sich des Abends draußen im Freien. An vielen Stellen waren die Pfade über die Äcker so schmal, daß Kristin hinter Gaute gehen mußte. Dann wanderte er mit der langschaftigen Axt voran, so voll erwachsen - die Mutter mußte hinter seinem Rücken lächeln. Sie fühlte eine übermütige jugendliche Lust, von hinten her zu ihm hinzulaufen, ihn an sich zu drücken, zu lachen und mit ihm zu scherzen, so wie sie es oft getan hatte, als er ein Kind war.
Manchmal gingen sie bis ganz hinunter zu dem Platz am Flußufer, wo die Wäsche gewaschen wurde, saßen da und hörten dem Brausen des Flusses zu, der vorüberströmte, hell und reißend in der Dämmerung. Meist redeten sie nicht viel miteinander. Aber es kam vor, daß Gaute die Mutter nach alten Geschichten aus dem Tal und über ihre eigene Sippe ausfragte. Kristin erzählte die Dinge, wie sie sie in ihrer Kindheit gehört und gesehen hatte. Der Vater und die Jahre auf Husaby wurden an solchen Abenden nie zwischen ihnen erwähnt.
„Nein, Mutter, Ihr friert gewiß“, sagte Gaute, „es ist kalt heute abend.“
„Ach ja - und steif bin ich geworden, weil ich auf diesem Stein hier gesessen habe.“ Auch Kristin erhob sich. „Ich fange an, ein altes Weib zu werden, mein Gaute!“
Bergaufwärts stützte sie sich mit einer Hand auf seine Schulter.
Lavrans schlief wie ein Stein in seinem Bett. Kristin zündete die kleine Tranlampe an - sie hatte Lust, noch ein wenig aufzubleiben und den weiten Blick in ihrem eigenen Inneren zu genießen. Und schließlich gab es immer irgend etwas, womit sie sich beschäftigen konnte. In der Stube über ihr polterte Gaute herum - dann hörte sie, daß er droben ins Bett stieg. Die Mutter richtete sich einen Augenblick auf - und lächelte ein wenig in die kleine Flamme der Lampe hinein. Leise bewegte sie die Lippen, schlug das Zeichen des Kreuzes über Gesicht und Brust und vor sich in der Luft. Dann nahm sie ihre Arbeit wieder auf.
Björn, der alte Hund, stand auf und schüttelte sich, streckte sich flach auf seine Vordertatzen aus und gähnte. Dann kam er durch die Stube tappend zu seiner Herrin heran. Kaum streichelte sie ihn, legte er die Pfoten auf ihren Schoß, als sie mit ihm redete, leckte er ihr eifrig Gesicht und Hände und schlug dabei mit dem Schweif den Boden. Dann schlich Björn wieder weg - wandte den Kopf und sah Kristin an: schlechtes Gewissen leuchtete aus den winzigen Augen und aus dem ganzen struppigen, gedrungenen Körper bis zur letzten Schwanzlocke. Kristin lächelte still und tat, als sehe sie nichts - da sprang der Hund auf ihr Bett und rollte sich am Fußende zusammen.
Eine Weile später
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