Kristin Lavranstochter 2
von Leuten geweckt wurde, die auf den Hofplatz einritten. Dann wurde an die Türe des Oberstockwerkes gepoltert - sie hörte Gaute seine Gäste laut und erfreut begrüßen. Das Gesinde wurde geweckt und aus den Betten geholt. Schritte und Getrampel dröhnten in der Stube droben -Kristin hörte Ingrids scharfe Stimme heraus. Ja, sie war ein gutes Kind, die junge Magd, und ließ sich keinerlei Zudringlichkeiten gefallen. Das brüllende Lachen junger Stimmen lohnte ihre scharfen und raschen Worte. Frida lachte gellend - die Ärmste, sie wurde nie klug; nicht viel jünger als Kristin selbst, mußte sie doch immer wieder von ihrer Herrin behütet werden.
Dann drehte Kristin sich im Bett herum und schlief weiter.
Gaute war am nächsten Morgen frühzeitig auf, wie immer -er schlief nicht länger in den Morgen hinein, auch wenn er des Nachts Bier getrunken hatte. Die Gäste aber erschienen nicht eher, als bis es Zeit zum Morgenimbiß war. Dann blieben sie den Tag über auf dem Hof - bisweilen waren sie um eines Handels willen gekommen, bisweilen aber nur, um den Freund zu besuchen. Gaute war sehr gastfrei.
Kristin trug Sorge dafür, daß Gautes Freunden stets das Beste geboten wurde. Sie war sich nicht bewußt, wie sie still vor sich hin lächelte, wenn sie sah und hörte, daß das Lärmen der Jugend und das lustige Leben auf dem väterlichen Hof wieder eingezogen waren. Aber sie sprach nur wenig mit den jungen Männern und sagte nicht viel zu ihnen. Soviel sie sehen konnte, war Gaute umgänglich und froh.
Gaute Erlendssohn war bei den kleinen Leuten ebenso beliebt wie bei den reichen Bauern. Obgleich der Rechtsgang gegen Erlends Mörder großes Unglück über die Verwandten vieler Leute gebracht hatte, so daß es genug Höfe und Sippen gab, wo man es mit Absicht vermied, einem der Erlendssöhne zu begegnen, besaß Gaute selbst doch keine Feinde.
Herr Sigurd von Sundbu hatte die größte Liebe zu seinem jungen Verwandten gefaßt. Dieser Vetter, den Kristin erst kennenlernte, als das Schicksal ihn an Erlends Sterbelager führte, hatte ihr damals den treuesten Verwandtensinn bewiesen. Er war fast bis Weihnachten auf Jörundhof geblieben und hatte alles getan, was in seinen Kräften stand, der Witwe und den vaterlosen jungen Burschen zu helfen. Die Erlendssöhne bezeigten ihm ihre Dankbarkeit auf höfische und schöne Art, Gaute aber schloß sich ihm näher an und war seit der Zeit häufig auf Sundbu.
Wenn dieser Tochtersohn Ivar Gjeslings einmal starb, ging sein Hof der Sippe vollkommen verloren - er besaß keine Kinder, und seine nächsten Verwandten waren die Haftorssöhne. Herr Sigurd war bereits ein ziemlich bejahrter Mann und war von dem schweren Schicksal betroffen worden, daß seine junge Frau in ihrem ersten Wochenbett den Verstand verlor. Jetzt lebte er seit bald vierzig Jahren mit dem verrückten Weib zusammen, aber immer noch suchte er sie fast täglich auf und sah sich nach ihr um, wie es ihr ging - sie wohnte in einem der besten Häuser auf Sundbu und hatte mehrere Mägde, nur allein zu ihrer Bewachung. „Kennst du mich heute, Gyrid?“ pflegte der Mann zu fragen. Bisweilen antwortete sie nicht, zu manchen Zeiten aber sagte sie: „Dich kenne ich wohl - du bist der Prophet Jesaia, der auf Brotveit oben unterhalb des Brotveitberges wohnt.“ Stets saß sie mit einer Spindel da - ging es ihr gut, so spann sie den Faden gleichmäßig und fein, hatte sie jedoch einen schlechten Tag, so zerzupfte sie ihr eigenes Gespinst und streute die Wolle, die ihre Mägde gekämmt hatten, in der
Stube umher. Seit Gaute seiner Mutter diese Sache erzählt hatte, nahm sie ihren Vetter stets mit herzlicher Freundlichkeit auf, wenn er auf den Hof kam. Aber sie weigerte sich, mit nach Sundbu zu kommen - dort war sie seit ihrer Brautzeit nicht mehr gewesen.
Gaute Erlendssohn war viel kleiner als Kristins übrige Söhne. Zwischen der großen Mutter und den langen Brüdern wirkte er fast klein, aber immerhin war er reichlich mittelgroß. Überhaupt schien Gaute sich in jeder Beziehung mehr und mehr herauszumachen, jetzt, da die beiden ältesten Brüder und die Zwillinge, die im Alter nach ihm kamen, weg waren - zwischen ihnen war er immer sehr still gewesen. Die Leute im Tal nannten ihn einen überaus schönen Mann - und sein Gesicht war auch schön. Mit dem flachsgoldenen Haar und den großen grauen Augen, die so fein unter der Stirne lagen, dem länglichen, nicht zu vollen Gesicht, der frischen Hautfarbe und einem schönen Mund
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