Kristin Lavranstochter 2
blies sie die Lampe aus, zwickte das glühende Ende des Dochtes ab und warf es in den Tran. Draußen hinter dem kleinen Fenster dämmerte das Licht der Sommernacht. Kristin sprach das letzte Gebet für den vergangenen Tag, entkleidete sich still und kroch in ihr Bett. Sie drückte die Kopfkissen unter Brust und Schulter gut zurecht, und der alte Hund schmiegte sich rückwärts an sie an. Gleich darauf schlief sie ein.
Bischof Halvard hatte Sira Dag das Amt eines Vertrauensmannes im Tal übertragen, und von ihm kaufte Gaute den Bischofszehent für drei Jahre im voraus. Er erhandelte sich auch Häute und Nahrungsmittel im Tal, sandte die Waren im Winter mit Schlitten nach Raumsdal und im Frühling mit dem Schiff weiter nach Björgvin. Kristin war mit diesem Vorhaben ihres Sohnes nicht ganz einverstanden - sie selbst hatte stets in Hamar verkauft, denn so hatten es auch ihr Vater und Simon Andressohn gehalten. Gaute aber ging mit seinem Schwager, Gerlak Paus, eine Art Handelsgemeinschaft ein - und Gerlak war ein tüchtiger Kaufmann und mit vielen der reichsten deutschen Handelsleute in Björgvin nahe verwandt.
Erlends Tochter, Margret, und ihr Mann waren im Sommer nach dem Tode des Vaters nach Jörundhof gekommen. Sie machten der Kirche große Schenkungen für sein Seelenheil. Zu der Zeit, da Margret als junges Mädchen daheim auf Husaby lebte, hatte zwischen ihr und der Stiefmutter nur eine sehr mäßige Freundschaft bestanden, und damals hatte sie sich nicht viel um die kleinen Halbbrüder gekümmert. Jetzt war sie dreißig Jahre alt und hatte in ihrer Ehe keine Kinder bekommen, und nun erwies sie den schönen erwachsenen Brüdern die zärtlichste Schwesterliebe; sie war es auch, die jenes Abkommen zwischen ihrem Mann und Gaute zustande gebracht hatte.
Margret war noch eine schöne Frau, aber sie war so groß und dick geworden, daß Kristin glaubte, niemals ein so dickes Frauenzimmer gesehen zu haben. Aber je dicker sie war, desto mehr Silberplatten konnten auf ihrem Gürtel angebracht werden, und außerdem prangte eine Schließe, so groß wie ein kleiner Handschild, sehr passend zwischen ihren beiden breiten Brüsten. Ihr mächtiger Körper war stets mit den kostbarsten Stoffen und mit vergoldetem Metall geschmückt wie ein Altar. Gerlak Tiedekenssohn schien seine Frau über alle Maßen zu lieben.
Im Jahr zuvor war Gaute während der Versammlungszeit im Frühjahr bei seiner Schwester und seinem Schwager in Björgvin zu Besuch gewesen, und im Herbst zog er mit einer Pferdeherde über das Gebirge und verkaufte sie dort. Diese Fahrt lohnte sich so gut, daß Gaute schwor, sie im Herbst darauf wiederum zu unternehmen. Kristin dachte, man müsse ihm hierin seinen Willen lassen. Wahrscheinlich steckte ihm auch ein wenig von der Reiselust des Vaters im Blut - er würde schon noch zur Ruhe kommen, wenn er einmal älter wäre. Als die Mutter merkte, daß er Vorbereitungen traf, um die Reise anzutreten, trieb sie ihn selbst zur Eile an - im vorigen Jahre hatte er mitten im Winter über das Gebirge heimkehren müssen.
So zog er denn eines schönen sonnigen Morgens gleich nach der Bartholomäusmesse fort. In dieser Zeit wurden die Böcke geschlachtet - und der ganze Hof roch nach gekochtem Bockfleisch. Die Leute waren vollgegessen und vergnügt; den ganzen Sommer hindurch hatten sie kein frisches Fleisch zu kosten bekommen, außer an den höchsten Feiertagen, jetzt aber erhielten sie viele Tage lang zu jeder Mahlzeit von dem kräftigen Fleisch und der fetten starken Suppe vorgesetzt. Kristin war erschöpft, aber aufgeräumt nach dem ersten Großschlachten und Wurststopfen des Jahres, als sie oben auf dem Hauptweg stand und Gaute mit einem Zipfel ihres Kopftuches nachwinkte. Es war ein schöner Anblick - prächtige Pferde, frische junge Männer, die mit glänzenden Waffen und klirrendem Zaumzeug dahinritten; es donnerte laut, als sie über die Holzbrücke kamen. Gaute drehte sich im Sattel um und winkte mit seinem Hut zurück, und Kristin winkte ebenfalls und stieß dabei einen leisen, entzückten Ruf der Freude und des Stolzes aus.
Gleich nach der Winternacht (14. Oktober) setzte das Wetter mit Regen und Schmutz im Tal, Sturm und Schnee im Gebirge ein. Kristin fühlte sich um Gautes willen, der noch nicht zurückgekehrt war, ein wenig beunruhigt. Immerhin empfand sie nie solche Angst um ihn wie früher um die anderen - sie vertraute auf das Glück dieses Sohnes.
Eine Woche darauf trat Kristin spät am Abend vom Kuhstall
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