Kristin Lavranstochter 2
Moorstreifen flossen ineinander, aber über dem weit ausgedehnten, gebirgigen Land wölbte der Abendhimmel seine unendlich tiefe und klare Schale. Er spiegelte sich weiß in allen Wasserpfützen, zerbrochen und bleicher spiegelte sich der Himmelsglanz in einem kleinen Gebirgsbach, der rauschend und unruhig über Steine hineilte und zwischen den hellen Kiesbänken rings um den kleinen See am Moor verlief.
Wieder kam dieses seltsam fieberähnliche innere Sehen über sie - der Fluß schien ihr das Bild ihres eigenen Lebens zu zeigen, so, wie sie rastlos durch die Wildnisse des irdischen Lebens hindurchgeeilt war, sich in erregtem Aufbrausen bei jedem Stein, über den sie hinwegmußte, gebäumt hatte; schwach und zerbrochen und bleich nur vermochte das ewige Licht sich in ihrem Leben widerzuspiegeln. - Aber der Mutter kam dunkel ein Gefühl, daß in der Angst und in der Sorge und in der Liebe... Jedesmal wenn die Frucht der Sünde zur Sorge gereift war - erst dann vermochte ihre an die Erde gebundene und eigenmächtige Seele einen Widerschein des himmlischen Lichtes einzufangen.
Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade, du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, der für uns Blut geschwitzt hat...
Während sie die fünf Ave zum Gedächtnis an die schmerzvollen Mysterien der Erlösung sprach, fühlte sie, daß sie mit ihren Sorgen unter dem Mantel der Mutter Gottes Schutz zu suchen wagte. Mit dem Kummer über die Kinder, die sie verloren hatte, mit dem noch schwereren Kummer über jeden Schicksalsschlag, der ihre Söhne betroffen, ohne daß sie ihn abzuwenden vermocht hätte. Maria, die Vollkommene in Reinheit, in Demut, dem Willen des Vaters gehorsam, hatte am meisten von allen Müttern getrauert, und ihr Erbarmen würde den schwachen und bleichen Widerschein in dem Herzen eines sündigen Weibes erkennen, das vor heißer und verzehrender Liebe gebrannt hatte und in all den Sünden, die im Wesen der Liebe liegen: Trotz und Ungehorsam, Härte und Unversöhnlichkeit, Eigensinn und Hochmut - das Herz einer Mutter war es dennoch ...
Kristin barg ihr Gesicht in den Händen. Einen Augenblick dünkte es sie mehr, als sie ertragen konnte, daß sie jetzt von ihnen allen getrennt sein sollte - von allen ihren Söhnen.
Dann sprach sie das letzte Paternoster. Sie entsann sich ihres Abschieds vom Vater hier an diesem Ort vor vielen Jahren, ihres Abschieds von Gaute vor zwei Tagen. Aus kindischer Gedankenlosigkeit hatten ihre Söhne sie gekränkt - gleichviel, sie wußte, hätten sie ihre Mutter ebenso gekränkt, wie sie, Kristin, ihren Vater gekränkt hatte, in sündiger Absicht, es hätte doch nie ihre Gesinnung zu ihnen zu ändern vermocht. Seinen Kindern zu verzeihen ist leicht.
Gloria Patri, et Filio, et Spiritui Sancto *, betete sie und küßte das Kreuz, das sie einmal von ihrem Vater bekommen hatte, demütig dankbar dafür, daß sie fühlte, wie trotz allem, trotz allem wilden Sinn, doch auch ihr unruhiges Herz einen bleichen Schimmer jener Liebe hatte einfangen dürfen, die sie in der Seele ihres Vaters sich widerspiegeln gesehen hatte, klar und still, so, wie der helle Himmel jetzt von dem großen See draußen in der Ferne zurückschimmerte.
Am nächsten Tag war das Wetter so grau und windig, mit Nebel und Regenschauern, daß Kristin es kaum wagte, mit dem
* (lat.) Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.
kranken Kind und mit Bruder Torgils weiterzugehen. Aber der Mönch selbst war der eifrigste - sie verstand, daß er selber fürchtete, noch vor seiner Ankunft in Nidaros zu sterben. So machten sie sich denn auf den Weg über das Gebirge, aber der Nebel war bisweilen so dicht, daß Kristin es nicht wagte, auf den steilen Pfaden an den jäh abfallenden Hängen entlang weiterzugehen, sie erinnerte sich noch des gefährlichen Weges zu der Herberge im Drivtal hinunter. So machten sie denn ein Feuer, als sie auf der Höhe des Einschnittes angelangt waren, und richteten sich für die Nacht ein. Nach dem Abendgebet erzählte Bruder Arngrim ihnen eine schöne Sage von einem Schiff in Seenot, das die Jungfrau Maria auf die Fürbitte einer Äbtissin hin rettete: Maria ließ den Morgenstern über dem Meer aufgehen.
Der Mönch schien eine große Vorliebe für Kristin gefaßt zu haben. Während sie am Feuer saß und das Kind beruhigte, damit die anderen schlafen konnten, rückte er zu ihr heran und begann mit flüsternder Stimme von sich selber zu erzählen. Er war
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