Kristin Lavranstochter 2
zurecht, griff nach dem Stab und machte sich auf den Weg ins Tal hinunter. - Sollte es ihr nicht bestimmt sein, noch einmal hierherzukommen, so war dies Gottes Wille, es hatte keinen Sinn, Angst zu empfinden. Aber die eigentliche Ursache lag wohl darin, daß sie alt wurde. Sie bekreuzigte sich und schritt rascher aus - sehnte sich trotzdem danach, weiter hinunterzukommen, wo der Weg zwischen Höfen dahinführte.
Nur ein einziges kurzes Stück lang konnte man von der Straße aus die Häuser von Haugen ganz oben am Bergrand erkennen. Ihr Herz begann zu hämmern.
Wie sie erwartet hatte, begegnete sie mehreren Pilgern, als sie gegen Ende des Tages nach Toftar kam. Am nächsten Morgen bildeten sie eine kleine Schar, die gemeinsam ins Gebirge hinaufwanderte. Ein Priester mit seinem Diener und zwei Frauen - seiner Mutter und seiner Schwester - waren zu Pferd und ließen die Fußgänger bald weit hinter sich. Kristin fühlte einen Stich in ihrem Herzen, als sie der anderen Frau nachsah, die zwischen ihren zwei Kindern ritt.
In ihrem Gefolge befanden sich zwei ältere Bauern von einem kleinen Hof hier auf Dovre. Außerdem zwei jüngere Männer von Oslo, Handwerker in der Stadt, und ein Bauer mit seiner Tochter und ihrem Mann, noch ganz junge Leute. Sie hatten das Kind des jungen Paares bei sich, ein kleines Mädchen, etwa anderthalb Jahre alt, und waren im Besitz eines Pferdes, auf dem sie abwechselnd ritten. Diese drei stammten aus einem Tal weit im Süden des Landes, das Andabu hieß, Kristin wußte nicht, wo es lag. Am ersten Abend bat Kristin, das Kind sehen zu dürfen, denn es weinte und jammerte unaufhörlich - es sah jämmerlich aus, mit einem großen kahlen Kopf und einem kleinen schlottrigen Körper, und es konnte weder sprechen noch aufrecht sitzen. Die Mutter schien sich seiner zu schämen, und als Kristin sich am nächsten Morgen erbot, ihr die Kleine eine Weile zu tragen, blieb sie ihr ganz überlassen - die Mutter war weit vorausgegangen. Sie schien eine Rabenmutter zu sein. Aber sie waren sehr jung, sie sowohl als ihr Mann, kaum achtzehn Jahre alt, und sie konnte wohl auch müde davon sein, das schwere Kind zu tragen, das ständig jammerte und weinte. Der Großvater war ein häßlicher, mürrischer und verdrossener ältlicher Mann, aber er war es gewesen, der mit der Enkelin nach Nidaros hatte fahren wollen, er schien also ein Herz für sie zu haben. Kristin ging mit ihm und den beiden Franziskanermönchen als letzte in der Schar - und sie ärgerte sich, daß der Mann aus Andabu den Mönchen nie sein Pferd anbot, jeder Mensch sah doch, daß der junge Mönch schwer krank war.
Der Ältere, Bruder Arngrim, war ein dicker kleiner Mann mit einem runden, roten und sommersprossigen Gesicht, lebhaften braunen Augen und einem fuchsroten Haarkranz um den Schädel. Er redete unaufhörlich, hauptsächlich von der Armut, in der sie lebten, sie gehörten zu den Barfüßern in Skidan -der Orden hatte vor einiger Zeit einen Hof in der Stadt erhalten, aber die Mönche waren so unsagbar arm, daß sie sich kaum imstande sahen, weiterhin die Gottesdienste abzuhalten, und die Kirche, die zu bauen sie im Sinn hatten, würde wohl nie errichtet werden können. Arngrim gab die Schuld den reichen Nonnen in Gimsöy, die die armen Bettelbrüder mit Neid und Haß verfolgten und einen Rechtsstreit gegen sie angestrengt hatten; mit beredter Zunge erzählte er die schlimmsten Sachen über sic. Kristin war wenig erbaut davon, den Mönch so reden zu hören, und seine Berichte darüber, daß ihre Äbtissin unkanonisch gewählt sei und daß die Nonnen ihre Gebetszeiten verschliefen, klatschten und bei Tisch im Refektorium unzüchtige Reden führten, schienen ihr wenig glaubhaft - ja von einer Schwester erzählte er sogar ganz offen, das Volk glaube nicht, daß sie in Zucht und Ehren lebe. Aber Kristin erkannte, daß Bruder Arngrim im übrigen ein gutherziger und hilfsbereiter Mann war. Er trug das kranke Kind lange Zeit, wenn er merkte, daß Kristins Arme müde waren, und wenn es zu laut schrie, lief er über die Äcker voraus, die Kutte hoch aufgehoben, so daß der Wacholder seine schwarzen zottigen Waden ritzte und das moorige Wasser aufspritzte, während er der Mutter nachlief und schrie, sie solle jetzt warten, das Kind sei durstig. Dann lief er zu dem Kranken, Bruder Torgils, zurück; zu ihm war er wie der zärtlichste und liebevollste Vater.
Es war nicht zu erwarten, daß die Schar mit dem kranken Mönch noch in der Nacht nach
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