Kristin Lavranstochter 2
Hofplatz große Schneewächten - und plötzlich geschah es, daß sie mit liebevoller Sehnsucht an diese beiden Schneewächten denken mußte, die sie und alle Leute des Hofes jeden Winter verwünscht hatten - es war, als sollte sie verdammt sein, sie nie wieder zu sehen.
Es war, als zersprenge die Sehnsucht ihr Herz - wie Blutströme rannen ihre Gedanken dahin und dorthin, suchten sich Wege nach all den Orten in dem weit ausgedehnten Land, wo sie gelebt hatte, zu all ihren Söhnen, die in der Welt umherwanderten, zu allen Toten, die unter der Erde ruhten. Sie besann sich - war sie vielleicht krank? So hatte sie sich noch nie gefühlt...
Da sah sie, daß Gaute dasaß und sie anstarrte. Und sie lächelte rasch und entschuldigend - nun sei es an der Zeit, daß sie voneinander Abschied nähmen und daß sie weiterginge.
Gaute rief sein Pferd heran, das sich grasend auf dem grünen Fleck entfernt hatte. Er lief ihm nach, kam dann zurück, und sie nahmen voneinander Abschied.
Kristin hatte den Sack bereits über die Schulter gelegt, der Sohn schob den Fuß in den Steigbügel - da wandte er sich um und trat einen Schritt vor.
„Mutter!“ Einen Augenblick sah sie ihm durch seine ratlosen, beschämten Augen bis auf den Grund. „Ihr seid wohl - Ihr seid wohl in diesem letzten Jahr nicht sehr zufrieden gewesen -Mutter, Jofrid meint es gut, sie empfindet große Ehrfurcht vor Euch - trotzdem hätte ich ihr wohl mehr davon erzählen sollen, welch eine Frau Ihr seid und allezeit gewesen wart...“
„Wie kommst du auf solche Gedanken, mein Gaute?“ Die Mutter sprach sanft und erstaunt. „Wohl weiß ich, daß ich nicht mehr jung bin, und alten Leuten etwas recht zu machen soll schwer sein, aber so uralt bin ich doch noch nicht, daß ich nicht dich und deine Frau zu verstehen vermöchte. Es würde mir leid tun, wenn Jofrid jetzt umherginge und meinte, es sei eine undankbare Arbeit gewesen, alles, was sie getan hat, um mir Mühe und Plage zu ersparen. Denke doch nicht solches von mir, mein Sohn, daß ich nicht die Tugend deiner Frau oder deine getreue Sohnesliebe anerkenne - sollte ich es nicht so gezeigt haben, wie ihr euch mit Recht erwarten durftet, so mußt du Nachsicht mit mir üben und bedenken, daß alte Leute nun einmal so sind
Gaute starrte die Mutter an, mit offenem Mund.
„Mutter!“
Dann brach er in Tränen aus, lehnte sich an sein Pferd und stand da, von Schluchzen geschüttelt.
Aber Kristin blieb fest; durch ihre Stimme klang nichts anderes als Erstaunen und mütterliche Güte.
„Mein Gaute, du bist jung an Jahren, und es ist nun einmal
so, daß du stets mein Lieblingslamm warst, wie dein Vater zu sagen pflegte. Aber trotzdem darfst du dich jetzt nicht so gebärden, mein Sohn, jetzt, da du daheim der Bauer und ein voller Mann bist. Wäre ich nach Romaburg oder Jorsal gegangen - aber auf diesem Weg werden mir wohl kaum große Gefahren begegnen. Begleitung werde ich sicher finden, das weißt du, wenn nicht schon eher, so doch mindestens von Toftar an, dort brechen um diese Zeit jeden Morgen Pilgerzüge auf.“
„Mutter, Mutter - vergib uns dies! Wie haben wir Euch doch alle Gewalt und Macht aus den Händen genommen, Euch in einen Winkel geschoben ..."
Kristin schüttelte mit einem leisen Lächeln den Kopf.
„Ich fürchte, ihr Kinder meint, ich sei eine sehr herrschsüchtige Frau.“
Gaute wandte sich ihr zu; da nahm sie seine Hand in die ihre, legte ihre andere auf seine Schulter, während sie ihn noch einmal zu glauben bat, daß sie nicht undankbar sei gegen ihn oder Jofrid, und dann wünschte sie Gottes Segen auf ihn herab. Danach drehte sie ihn zu seinem Pferd um und schlug ihm lachend mit der Faust zwischen die Schultern, dies sollte Glück bringen.
Sie stand da und sah ihm nach, bis er unter dem Hang verschwand. Wie schön sah er doch auf dem großen blauschwarzen Pferd aus!
Es wurde so seltsam für sie - alles ringsum empfand sie so unwahrscheinlich scharf, die sonnensatte Luft, den heißen Duft des Kiefernwaldes, das Knistern der kleinen Lebewesen im Gras. Gleichzeitig blickte sie in sich selbst hinein, in Bilder, ähnlich wie man bei starkem Fieber Erscheinungen in sich selber wahrzunehmen glaubt - in ihr war ein leeres Haus, völlig lautlos, dunkel und mit einem Geruch der Öde. Die Erscheinung wechselte - ein Ebbestrand, von dem die See sich weit zurückgezogen hatte, helle, abgewetzte Steine, Ballen aus dunklem, leblosem Tang, allerlei Strandgut.. .
Dann schob sie den Sack besser
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