Kristin Lavranstochter 2
Groa Guttormstochter mit so großem Geschick betrieben hatten, und auch kunstvolle Säume mit Seide und goldenen Fäden wurden nicht viele angefertigt.
Nach einer Weile vernahm sie dann meistens die Geräusche des erwachenden Hofbetriebes, die Laienschwestern gingen ins Küchenhaus, um das Essen für das Gesinde zu bereiten. Die Nonnen rührten vor der Tagesmesse niemals Essen oder Trinken an, außer wenn sie krank waren. Gab es Kranke, ging Kristin, nachdem es zur Prim geläutet hatte, in die Krankenstube hinüber, um Schwester Agata oder eine der Nonnen, die sonst dort waren, abzulösen. Schwester Turid, die Ärmste, lag oft dort.
Dann konnte sie bald anfangen, sich auf die Mahlzeit zu freuen, die auf die dritte Gebetsstunde und die Messe für das Gesinde des Klosters folgte. Jeden Tag sah Kristin mit derselben Freude dieser schönen und feierlichen Mahlzeit entgegen. Das Refektorium war aus Balken errichtet, war aber dennoch eine schöne Halle, und dort saßen sämtliche Frauen des Klosters - die Nonnen am obersten Tisch, an dem die Äbtissin den Hochsitz einnahm. Außer ihnen saßen auch die drei alten
Frauen, die mit Kristin hier Pfründnerinnen waren, am Tisch, die Laienschwestern weiter unten. Wenn das Gebet zu Ende war und Essen und Trinken hereingetragen wurde und alles schweigend aß und trank, still und mit geziemendem Betragen, während häufig eine der Schwestern unterdessen ein Stück aus einem Buch vorlas, dachte Kristin stets: Wenn die Menschen draußen in der Welt ihre Mahlzeiten mit der gleichen Schicklichkeit einnehmen könnten, würden sie wohl besser verstehen, daß Essen und Trinken eine Gabe Gottes ist, und sie würden ihren Nächsten mehr gönnen und weniger daran denken, alles für sich selbst und die Ihren zusammenzuscharren. Aber auch sie selbst hatte es anders empfunden, damals, als sie ihren Tisch für eine Schar übermütiger lärmender Männer deckte, die lachten und schrien, während die Hunde darunter erbettelte Bissen verschlangen, ihre Schnauzen heraufschoben und Knochen oder Schläge bekamen, je nach der Laune der Burschen.
Selten kamen Reisende hierher. Dann und wann legte ein Schiff mit Leuten von den Adelssitzen an, das durch den Fjord kam, und Männer und Frauen mit Kindern und jungen Leuten wanderten nach Rein hinauf, um eine Verwandte unter den Schwestern zu besuchen. Außerdem kamen auch die Vertrauensmänner von den Höfen und Inseln des Klosters und ab und zu ein Bote von Tautra. An jenen Festen, die mit der größten Pracht gefeiert wurden - an den Messetagen der Jungfrau Maria, an Fronleichnam und am Tag des Apostels Sankt Andreas -, kamen die Bewohner aus den nächstgelegenen Gemeinden zu beiden Seiten des Fjords zur Kirche der Nonnen, an den übrigen Tagen aber besuchten nur die Pächter und Arbeiter des Klosters, die in nächster Nähe wohnten, die Messe. Diese füllten die große Kirche nicht aus.
Und dazu kamen noch die Armen - die ständigen Almosenempfänger, die nach dem Testament reicher Leute am Seelenmessentag Bier und Essen erhielten und auch im übrigen fast täglich zum Kloster hinaufkamen, an der Wand des Küchenhauses saßen und aßen und die Nonnen, die über den Hofplatz gingen, ein wenig festzuhalten versuchten, um über ihre Sorgen und Kümmernisse zu sprechen. Kranke, Krüppel und Aussätzige gingen aus und ein - hier gab es viele, die an Aussatz litten, aber das sei an der Meeresküste immer der Fall, sagte Frau Ragnhild. Die Pächter kamen und baten um Erleichterungen und Nachlaß, und dann hatten sie stets von viel Mißgeschick
und Schwierigkeiten zu erzählen. Je erbärmlicher und unglücklicher diese Menschen waren, desto offener und schamloser sprachen sie mit den Schwestern über ihre Verhältnisse, obgleich sie die Schuld an dem Unglück gerne einem anderen zuschoben und immer fromme Redensarten bereit hatten. Es war kein Wunder, daß die Gespräche der Nonnen während der Rekreation und in der Webstube sehr viel vom Leben dieser Menschen handelten, ja Schwester Turid verriet Kristin sogar, daß bei den Beratungen der Nonnen im Konvent über geschäftliche Dinge und ähnliches das Gespräch sich oft in die Angelegenheiten jener Leute verliere, die mit diesen Sachen zu tun hätten. Kristin konnte aus den Worten der Schwestern wohl heraus -hören, daß sie nicht viel mehr von dem verstanden, worüber sie sprachen, als das, was sie von den Leuten selbst oder von den Laiendienern gehört hatten, die im Tal draußen gewesen waren. Sie waren
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