Kristin Lavranstochter 2
gewesen, so aufzustehen und zu sprechen, wenn er in seinem Gau eine Vogtversammlung abhielt - und wenn er sich jetzt an den einen oder anderen wandte und fragte, ob es sich nicht so verhalte, ob sie auch begriffen, was er ihnen klarlege, stellte er seine Fragen, als verhöre er Zeugen, nicht unhöflich, aber doch genauso, als sei es seine Sache, zu fragen, und Sache der anderen, ihm zu antworten. Als er ausgeredet hatte, überreichte er die Briefe dem Lehnsmann, als wäre dieser sein Untergebener, setzte sich und hörte dann, während die anderen miteinander sprachen und auch Simon seine Meinung zum Ausdruck brachte, wohl zu, aber doch auf eine Art, als sei er selbst in dieser Angelegenheit gar nicht beteiligt. Wenn jemand das Wort an ihn richtete, antwortete er kurz, bündig und klar -dazwischen kratzte er mit dem Nagel ein paar Fettflecke weg, die er auf seinem Wams entdeckte, schob seinen Gürtel zurecht, zog seine Handschuhe durch die Hände und schien ein wenig ungeduldig darauf zu warten, daß die Versammlung zu einem Ende käme.
Die anderen nahmen die Ordnung an, die Erlend vorgeschlagen hatte, und Simon konnte damit ziemlich zufrieden sein; er hätte bei einer Rechtsklage kaum etwas gewinnen können.
Aber seine Laune war verdorben. Es kam ihm selbst allzu kindisch vor, daß er sich ärgerte, weil der Schwager und nicht er die Angelegenheit richtig erkannt hatte. Es war doch begreiflich, daß Erlend besser die Worte des Gesetzes auslegen und unklare Briefe deuten konnte, da es ja durch Jahre hindurch sein Amt gewesen war, den Leuten das Gesetz zu erklären und Zwistigkeiten zu prüfen. Aber diese Wendung war Simon ganz unerwartet gekommen: noch gestern abend auf Jörundhof, als Simon mit Erlend und Kristin über diese Versammlung sprach, hatte Erlend keinerlei Meinung geäußert - er hatte wohl nur mit einem Ohr zugehört. Ja, es war klar, daß Erlend sich besser im Gesetz auskennen mußte als gewöhnliche Bauern -aber es schien fast, als berühre, wie er so dasaß und den anderen mit gleichgültiger Freundlichkeit Erklärungen gab, das Gesetz ihn selbst nicht im geringsten; in Simon stieg ein unklares Gefühl auf, als habe Erlend auf irgendeine Weise nie das Gesetz als Richtschnur für sein eigenes Leben betrachtet.
Und dann war es auch so merkwürdig, daß Erlend ohne jede Verlegenheit einfach so aufstehen und reden konnte. Er mußte doch wissen, daß dies aller Gedanken darauf lenkte, wer und was er gewesen und wie seine Stellung jetzt war. Simon fühlte, daß die andern daran dachten - einige ärgerten sich wohl über diesen Mann, der offenbar nie darauf achtete, was man von ihm meinte. Aber keiner sagte etwas. Und als der blaugefrorene Schreiber, den der Lehnsmann mitgebracht hatte, sich hinsetzte und sein Schreibbrett auf die Knie nahm, wandte er sich immer wieder mit seinen Fragen an Erlend, und Erlend buchstabierte ihm vor, während er einige Strohhalme vom Boden aufnahm, sie um seine langen braunen Finger wickelte und zu einem Ring verflocht. Als der Schreiber fertig war, reichte er Erlend das Kalbsfell hin; der warf den Strohring ins Feuer, nahm die Urkunde und las halblaut vor:
„Allen Männern, die diesen Brief sehen oder hören, senden Simon Andressohn von Formo, Erlend Nikulaussohn von Jörundhof, Vidar Steinssohn von Klaufastad, Ingemund und Toralde Björnssöhne, Björn Ingemundssohn von Lundar, Alv Einarssohn, Holmgeir Moisessohn Gottes Gruß und den ihren . . .
Habt Ihr das Wachs bereit?“ fragte er den Schreiber, der dastand und sich in die kalten Finger blies.
„Sei euch dies kundgetan, daß wir, als seit der Geburt des Herrn tausend Winter und dreihundertundachtunddreißig vergangen waren, am Freitag vor Mittfastsonntag auf Granheim im Kirchspiel Kvam zusammentrafen ...
Wir können die Truhe, die in der Kammer nebenan steht, als Tisch benützen, Alv“, wandte er sich an den Lehnsmann und gab den Brief dem Schreiber zurück.
Simon erinnerte sich, wie Erlend gewesen war, als er unter seinesgleichen dort oben im Norden lebte. Selbstsicher und frei, daran fehlte es nicht, mit losem Mundwerk und übermütig, aber doch stets von einem eigenen einschmeichelnden Wesen: es war ihm gar nicht gleichgültig, was jene, die er für seinesgleichen und seine Verwandten ansah, über ihn meinten. Er hatte ganz im Gegenteil viel Wert darauf gelegt, sich dort einen guten Ruf zu schaffen.
Seltsam bitter und heftig fühlte Simon sich plötzlich mit diesen Bauern aus dem Tal hier verbunden, die
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