Kristin Lavranstochter 2
die Verwandten der Verkäufer ihr Recht auf gesetzliche Weise geltend gemacht hatten. Als Lavrans’ Nachlaß verteilt wurde, hatte man den Teil an diesem Hof und einige andere kleinere Besitztümer, bei denen Zweifel über die Rechte entstehen konnten, ausgeschieden, und die Schwestern teilten sich nur in die Einkünfte aus diesen Ländereien. Darum reisten nun beide Schwiegersöhne Lavrans’ an Stelle ihrer Frauen dorthin.
Es waren ziemlich viele Leute beisammen, und da die Frau und die Kinder des Pächters krank in der Stube lagen, mußten die Männer sich damit abfinden, ihre Versammlung in einem Schuppen auf dem Hof abzuhalten. Der Schuppen war sehr verfallen und undicht, und alle behielten deshalb den Pelzumhang an. Jeder hatte seine Waffen bei der Hand und das Schwert im Gürtel - keiner gedachte hier länger als notwendig zu verweilen. Aber irgend etwas Eßbares mußten die Männer doch zu sich nehmen, ehe sie wegritten, so holten sie gegen Nachmittag, als die Angelegenheit beendet war, ihre Ranzen mit Mundvorrat hervor, saßen da und aßen und hatten die Ranzen neben sich auf der Bank oder vor sich auf dem Boden - einen Tisch gab es hier nicht.
An Stelle des Kirchspielpfarrers von Kvam war sein Sohn, Holmgeir Moisessohn, erschienen. Er war ein schlampiger, unzuverlässiger junger Mann, nur bei wenigen beliebt. Sein Vater jedoch war sehr geschätzt, und seine Mutter hatte einem angesehenen Geschlecht angehört; außerdem war Holmgeir ein großer und starker Bursche, hitzig und schnell aufbrausend; darum mochte sich niemand mit dem Pfarrerssohn verfeinden - auch gab es viele, die seine Rede rasch und witzig fanden.
Simon kannte ihn kaum, und sein Äußeres gefiel ihm sehr wenig: er hatte ein langes schmales Gesicht, blaß, mit Sommersprossen und einer so kurzen Oberlippe, daß die großen gelben Vorderzähne wie bei einer Ratte zu sehen waren. Aber Sira Moises war ein guter Freund von Lavrans gewesen, und der Sohn hatte, bis der Vater ihn in die Sippe aufnahm, eine Zeitlang auf Jörundhof gelebt, halb als Knecht und halb als Pflegesohn. Darum pflegte Simon dem Holmgeir Moisessohn stets freundlich zu begegnen.
Jetzt hatte Holmgeir einen Holzklotz zur Feuerstätte hingerollt, saß da, spießte mit seinem Dolch ein Stück nach dem andern von seinem Mundvorrat an - gebratene Drosseln mit Speck - und wärmte die Bissen im Feuer auf. Er war krank gewesen und für vierzehn Tage vom Fasten befreit worden, erzählte er den anderen, die dasaßen und Brot und steifgefrorenen Fisch kauten, während der gute Geruch von Holmgeirs Essen ihnen in die Nase stieg.
Simon war schlechter Laune - zwar nicht richtig ärgerlich, sondern mehr in flauer Stimmung. Diese ganze Besitzangelegenheit war schwierig zu klären, und die Briefe, die er vom Schwiegervater her besaß, waren sehr unklar; als er jedoch von daheim wegritt, hatte er trotzdem geglaubt, er sei zu einem richtigen Ergebnis gekommen - nachdem er Vergleiche mit anderen Briefen angestellt hatte. Als er aber hier auf der Versammlung die Aussagen der Zeugen und die Briefe sah, die außerdem noch vorgelegt wurden, mußte er erkennen, daß seine Ansicht über die Sache nicht aufrechterhalten werden konnte. Im übrigen war aber keiner der anderen Männer imstande gewesen, die Sachen besser zu verstehen - nicht einmal der Lehnsmann des Vogtes, der auch anwesend war. Es kam die Rede darauf, daß man die Angelegenheit wohl vor das Thing bringen müsse
- da ergriff Erlend plötzlich das Wort, bat darum, die Briefe sehen zu dürfen.
Bisher hatte er nur dagesessen und zugehört, fast als ginge ihn die Sache nichts an. Jetzt schien er gleichsam zu erwachen. Sorgfältig las er alle Briefschaften durch, mehrere sogar ein paarmal. Dann gab er seine Erklärung ab - klar und kurz: so und so lauteten die Worte des Gesetzes und so und so würden sie meist ausgelegt; die unklaren und unbeholfenen Wendungen in den Briefen müßten entweder das eine oder das andere bedeuten; käme die Sache vor das Thing, so würde entweder so oder so geurteilt werden. Dann schlug er eine Lösung vor, mit der die früheren Besitzer zufrieden sein konnten, die aber auch für die jetzigen Besitzer nicht ganz unvorteilhaft war.
Während er sprach, stand er auf, hatte die linke Hand leicht auf den Schwertknauf gelegt und hielt das Bündel Briefe achtlos in der Rechten. Er gebärdete sich, als sei er derjenige, der die Verhandlung leite - aber Simon verstand, daß es ihm selbst unbewußt war. Er war gewohnt
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