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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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wenn er hörte, was die Schwabis anstellten. Er fuchtelte dann mit seinem Karabiner wild in der Luft umher und fluchte, dass selbst den Alten der Atem stockte. An einem schwülen Sommerabend saß dieser junge Mann mit einem älteren Partisan draußen vor dem Haus auf der Treppe. Ihre Karabiner hielten sie zwischen den Knien und die Flaschen stellten sie neben sich.

    In Czersk war seit drei Wochen ein neuer Standortkommandant eingezogen. Sein Name war in aller Munde. Er hatte siebzehn Männer, die sich nicht eindeutschen lassen wollten, kurzerhand verhaften lassen und sie nach Bromberg, wie sie Bydgoszcz damals nannten, ins KZ gesteckt. Er hatte alle Juden in einer einzigen Nacht mit Lastwagen auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Viel häufiger als je zuvor tauchten Militärstreifen in den Dörfern auf, schnell und oft unvermutet. Vor allem aber hatte er in einem Anfall von Wut geschworen, er wolle das ›Partisanenpack‹, wie er es nannte, in seinem Bezirk ausrotten, koste es, was es wolle. Doch damit kam er nicht recht vorwärts, denn unsere Wälder sind groß und der Nachrichtendienst funktionierte. An diesem fürchterlichen Abend nun erzählte meine Mutter, dass auf dem Friedhof an der Kirche eine Gruppe von Soldaten, wohl im Suff, die Grabsteine umgestürzt und zerschlagen habe. Nur die Steine mit deutsch klingenden Namen hätten die Wüstlinge verschont. Die Empörung über diese Schändung war in der ganzen Gegend groß. Der junge Partisan, vielleicht besonders reizbar durch die drückende Schwüle und durch den Schnaps, den meine Mutter spendiert hatte, sprang auf, schüttelte drohend seine Faust in Richtung Czersk, fluchte mit rotem Kopf Himmel und Hölle auf die Hitlerowskis herab, laut schreiend, und ließ doch dabei das Gewehr nicht aus der Hand. Plötzlich löste sich daraus ein Schuss. Der Knall schallte durch das ganze Dorf und wurde vom Walde zurückgeworfen. Stille senkte sich über die Häuser.
    ›Idiot!‹, schimpfte der ältere Partisan, stand auf, nahm den letzten Schluck aus der Flasche und schulterte sein Gewehr. Da hetzte der Jüngste von Zabieskis auf einem ungesattelten Braunen die Straße herauf, sprang ab und stieß außer Atem hervor: ›Sie kommen! Haut ab!‹
    Die Partisanen schwangen sich auf ihre Räder und traten mit Macht in die Pedale. Ein Mannschaftswagen der Deutschen bog in die Dorfstraße ein.
    Es war eine kurze Jagd. Dicht vor dem Wald fanden wir die gestürzten Räder, die zerschossenen Körper. Der Pfarrer hat sie in derselben Nacht noch begraben.
    Am nächsten Morgen in aller Frühe kam der Kommandant selber mit einem kleinen Trupp seiner Leute. In unserer Gaststube gab es endlose Verhöre. Aber alle hielten dicht. Ja, man hatte die Männer gesehen. Ja, sie seien draußen vor dem Dorf mit ihren Rädern gefahren. Nein, im Dorf kannte sie niemand. Ja, den Schuss habe man gehört. Nein, niemand habe sich etwas dabei gedacht. Schließlich sei Krieg. Nein, Nachricht habe man ihnen nicht gegeben. Ja, man fühle sich schließlich als Deutsche. Ja, man habe sich eindeutschen lassen.
    Da nun hakte der Kommandant bei meinem Vater ein.
    ›Wie heißen Sie?‹, fragte er meinen Vater. Der nannte seinen Namen. Der Kommandant schaute ihn überrascht und interessiert an.
    ›Sind Sie der Bauer, der mit seinen Söhnen auf Festen musiziert?‹
    ›Ja, das sind wir‹, bestätigte Vater.
    ›Spielen Sie vor.‹
    Vater rief uns. Wiktor spielte das Cello, mein Bruder Józef die Bratsche, ich die Geige und er die Flöte.
    Mein Vater war ein Fuchs. Er blätterte in den Noten und schlug das Kaiserquartett von Haydn auf. Es ist die Melodie des deutschen Nationalliedes, aber nicht von Fanatismus zerhackt, nicht vom Marschtritt zerstampft, sondern zart, wunderbar melodisch.
    Wir spielten es verhalten, so gut wir nur eben konnten. Es war das einzige Mal, dass ich den hageren, grauhäutigen Kommandanten freundlich sah.
    Er ließ uns zu Ende spielen, stand dann auf und sagte: ›Sehr gut. Sie haben mich überzeugt.‹ Sein Lächeln verzerrte sich. ›Kommen Sie heute um vier Uhr zu dem Hof der Rogalkas draußen vor dem Dorf. Alle. Mit Ihren Instrumenten. Verstehen Sie?‹
    Wir hatten zwar verstanden, begriffen aber gar nichts.
    Es war gegen elf, als die Soldaten endlich abzogen. Wir fragten im Dorfe, wir erkundigten uns bei den Rogalkas, aber keiner konnte sich einen Reim darauf machen. Es wuchs nur eine dunkle Angst in uns.
    Lange vor vier schon kamen wir auf Rogalkas Hof an und setzten uns

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