Kristina, vergiß nicht
Freude.
»Wartet, wartet, ihr Freunde.« Er erhob sich vorsichtig aus dem Korbsessel.
»Der Rücken, der verfluchte«, knurrte er und griff sich ans Kreuz.
Er schob einige Kloben in das Feuer. Dann hob er die Holzklappe im Boden, die das Treppenloch zum Keller verschloss. Er stieg vorsichtig die Stiegen hinab und kam wenig später mit zwei verstaubten Flaschen wieder herauf. Er hielt sie in das Licht.
»Dies hier«, er wies auf eine rötlich schimmernde Flasche, »dies hier ist etwas ganz Besonderes. Hat meine Elzbieta gemacht. Und von der Küche verstand sie viel. Stachelbeerwein. Ihr Wein war in der ganzen Verwandtschaft berühmt. Diese Flasche habe ich gerettet, als ihre Schwestern und Brüder nach Elzbietas Beerdigung alles wegsaufen wollten.«
Er suchte nach dem Korkenzieher. »In der anderen Flasche ist frischer Korn. Den habe ich im Sommer selber gebrannt.«
»Ist das nicht gefährlich?«, fragte Kristina. Eigentlich hatte sie wissen wollen, ob das Schwarzbrennen nicht streng verboten sei.
»Brauchen keine Angst zu haben, Fräulein. Von Mareks Korn ist noch kein Mensch blind geworden. Habe so was schließlich lange genug in der Klinik im Labor geübt.«
Er zog die Korken sanft aus den Flaschenhälsen und goss den Mädchen vom Wein, den Jungen Schnaps in die Tassen. Schon hob er seinen Becher, doch dann zögerte er, blickte noch mal auf die Flöte und sagte: »Ich habe früher oft mit meinem Vater zusammen gespielt. Wir waren eine begehrte Kapelle, meine Brüder, mein Vater und ich.«
»Und was ist daraus geworden?«, fragte Janec.
»Seit einundvierzig habe ich meine Geige nicht mehr hervorgeholt«, sagte er, starrte eine Weile düster vor sich hin, stürzte aber dann seinen Becher und befahl: »Trinkt, Kinder, trinkt.«
»Schmeckt wirklich wunderbar, der Wein«, sagte Basia.
»Nicht wahr?«, freute sich der Bauer. »Sie sollten ihn aus einem Glas trinken«, seufzte er und ging nach nebenan in die gute Stube. Sie hörten ihn kramen. Mit einem geschliffenen Glas und einem hölzernen Geigenkasten kehrte er zurück. »Das ist ein Glas, das zu Elzbietas Wein passt«, sagte er und schüttete den Rest aus Kristinas Tasse ins Glas und hielt es ins Licht. Rosé funkelte der Wein.
Dann löste der Alte die Hakenverschlüsse des Geigenkastens. Eine braun geflammte Geige hielt er behutsam in seinen Händen und drehte geschickt die zierlichen Wirbel. Kristina blies das A. Er schaute sie dankbar an. In wenigen Minuten hatte er die Saiten gestimmt, den Bogen gespannt, ihn über Kolophonium gestrichen und hob das Instrument gegen das Kinn.
Die Töne klangen auf, zittrig zunächst, doch dann klarer und sicherer. Das Lied von dem Mädchen, das den Ring des Liebsten in den Bach wirft. Kristina kannte es gut. Ihr Großvater hatte es oft gesungen, wenn er sonntags vor dem Hängespiegel stand und sich den Bart einseifte.
Sie blies mit. Auch Janec spielte und Andrzej griff dazu ein paar Akkorde. Als der Alte die Geige sinken ließ, saß er eine Weile stumm, den Kopf tief auf die Brust gesenkt.
»Seit über dreißig Jahren haben Sie nicht mehr gespielt?«, fragte Andrzej. »Es ist, als ob Sie gestern die Geige aus der Hand gelegt hätten.«
»Warum haben Sie so lange nicht gespielt?«, fragte Basia. Er blickte auf, unsicher ob er den fremden Leuten seine Geschichte erzählen sollte. Er entschloss sich dann aber doch dazu.
»Einundvierzig«, begann er, »ein schweres Jahr für uns. Hier in der Heide, in diesem Dorf lagen die Deutschen nicht. Aber oft genug kamen sie, forschten uns aus nach den Partisanen, die drüben in dem großen Wald ihre Schlupfwinkel hatten und dann und wann eine Lokomotive in Czersk in die Luft sprengten oder die Gleise der Bahn zerstörten. Wir kannten sie alle, die Männer aus den Wäldern. Mit der Dämmerung kamen oft zwei von ihnen mit ihren Fahrrädern ins Dorf dort drüben. Meine Mutter hatte den Kramladen. Aber zu verkaufen gab es nicht viel. Sie wollten auch nichts außer einer Flasche, einer Flasche von dem dünnen Bier, das damals gebraut wurde. Sie setzten sich auf die Mehlkiste und ließen sich erzählen, was es Neues von den Deutschen zu berichten gab. Sie fluchten, als sie hörten, dass sich alle eindeutschen lassen sollten, dass ihnen drei Kreuze zur Unterschrift genügten, um aus dem guten polnischen Ryszard Przybylski einen schlechten deutschen Richard Pribill zu machen.
Besonders ein langer Schlaks, nur wenig über zwanzig Jahre alt, regte sich jedes Mal fürchterlich auf,
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