Kristina, vergiß nicht
Feuer löschten und loszogen. Im Wald war es dunkel. Der Weg schnitt eine Schneise in den Himmel. Das matte Licht des Mondes und der Sterne fiel durch einen Spalt, sodass einer den anderen als Schatten deutlich erkennen konnte. Der Weg war nicht zu verfehlen.
Lange waren sie gegangen, als der Wald sich auftat. Über den Feldern und Wiesen wölbte sich klar die Nacht. Ein Gehöft lag ein wenig abseits. Durch das Stubenfenster fiel Licht. »Ich habe Durst«, sagte Andrzej. »Ich frage nach einem Schluck Wasser.«
Sie bogen in die Einfahrt ein. Der Hund kläffte und zerrte an der Kette.
»Schlechte Wirtschaft«, knurrte Janec, als er den Hof sah. Der Wagen war achtlos abgestellt, Ackergeräte standen im Freien, das Scheunentor war nicht geschlossen.
»Sag doch schon polnische Wirtschaft«, reagierte Basia empfindlich.
»Quatsch! Sei nicht so biestig. Du weißt, dass wir in diesem Land zu Hause sind.«
»Eure Eltern denken anders darüber.«
»Ja. Mist.«
Kristina klopfte an die Tür.
»Wer ist da draußen?«, schrie eine Männerstimme von drinnen.
»Jungen und Mädchen. Wir haben Durst.«
»Junge Leute? Na, dann herein.«
Die Tür war nicht verschlossen. In einem Korbsessel saß ein älterer Mann. Ein schneeweißer Sechstagebart wucherte in einem zerfurchten Gesicht. Blanke schwarze Augen blickten neugierig auf die späten Gäste.
»In der Kanne auf dem Tisch ist Kaffee. Die Tassen stehen dort auf dem Tisch. Ihr müsst sie ausspülen. Seit meine Elzbieta tot ist, wird hier nur gespült, wenn es sich lohnt.«
Er kicherte in sich hinein.
»Späte Rache«, flüsterte er. »Sie hat mich bald fünfundzwanzig Jahre kujoniert. Marek, Schuhe abputzen. Marek, schnäuze nicht, nimm dein Taschentuch. Marek, das Dach muss geflickt werden. Marek, du hast deinen Sonntagshut nicht gebürstet.« Er griff nach einem speckigen alten Hut und hielt ihn ins Licht. »Den trage ich jetzt im Stall.«
Wieder kicherte er boshaft. »Späte Rache.« Er besann sich auf seine Gäste. »Zucker ist in der Büchse auf dem Brett dort, Milch im Topf hinten auf dem Herd.«
Sie bedienten sich.
»Setzt euch. Ich hatte lange keinen Besuch.«
Die Verschnaufpause war ihnen willkommen. Sie hockten sich um den Tisch. Basia und Andrzej rutschten auf die Bank.
»Das ist gut«, sagte der Alte. »Ein rundum besetzter Tisch. Das ist gut.« Er zog einen Holzspan aus einem Bündel, zündete ihn im Herdfeuer an und versuchte seine erloschene Pfeife wieder in Gang zu setzen.
»Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«, fragte Janec.
»Sargnägel!«, schnaubte der Alte verächtlich und hüllte sich in beißende blaue Knasterwolken.
»Wo kommt ihr her?«, wollte er wissen. Janina erzählte von ihrem Ausflug. Der Alte lachte in sich hinein.
»Laufen ist nichts für feine Füße aus der Stadt?«, neckte er sie.
»Ich spüre gar nichts«, prahlte Janec, hatte aber seine Schuhe unter dem Tisch bereits ausgezogen.
»Ich laufe mir bestimmt eine Blase«, klagte Basia. »Meine Füße brennen schon jetzt.«
»Ihr habt Musik gemacht, dort am See? Habt ihr Musik gemacht?« Er zeigte auf Andrzejs Gitarre.
»Ja.«
»Spielt mir eins«, bat er. »Ich höre gern Musik.«
Andrzej zupfte lustlos die Saiten. Janec holte seine Mundharmonika aus der Tasche und legte los. Der Alte gefiel ihm. Kristina nahm die Teile der Flöte aus dem Etui und baute sie zusammen. Sie saß dicht neben dem Alten. Der strich mit dem Finger ganz zart über das schwarze Holz, über die silbernen Klappen und Reifen.
»Ein altes Instrument«, sagte er, »eine schöne Flöte.«
»Verstehen Sie etwas davon?«, fragte Janec erstaunt.
»Mein Vater besaß eine solche Flöte«, erinnerte sich der Alte. »Wenn mein Vater einem Hochzeitspaar zum Tanz aufspielte, dann verstummten sogar die Vögel und lauschten. Gab es Streit und lag eine Schlägerei in der Luft, dann brauchte mein Vater nur seine Flöte zu nehmen und zu spielen. Die größten Hitzköpfe vergaßen ihren Zorn und hörten zu.«
Kristina wunderte sich über die Sprache des Mannes. Es schien mehr hinter diesem Bauern zu stecken als ein böser Alter, der seine Frau noch über das Grab hinaus hasste.
»Spielt Lieder, ihr jungen Leute, spielt mir die alten Lieder.«
Janec begann und die anderen fielen ein. Janina sang mit ihrem hellen, kindlichen Sopran, Basias Alt und Andrzejs Bariton mischten sich darunter und der Alte brummte den Baß. Er wiegte sich im Sessel und sein Gesicht war ein einziger Glanz, eine einzige
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