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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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kennst ihn doch, Rosa. Warum willst du ihn nicht verstehen?«
    »Mach keinen Vogel aus ihm, Mutter, und keinen Hund. Sag doch, dass er Ärger hatte im Kombinat. Dass sie ihm Vorwürfe machten wegen einer neuen Maschine. Dass er sich in betrunkenem Kopf angelegt hat mit seinen Kollegen. Dass es zwischen ihm und mir knisterte.«
    »Das darfst du nicht behaupten, Rosa! Er ist dein Mann.«
    »Schon gut, schon gut«, lenkte die Mutter ein. »Ich will ja mit rüber. Eine Frau braucht ihren Mann.«
    »Na ja«, sagte Gronski. »Ihr Mann ist drüben. Kann ich verstehen. Aber was sagen die Kinderchen dazu?«
    »Eine Familie gehört zusammen«, antwortete Großmutter.
    »Na, ich weiß nicht. Der Janec, der würde auch bleiben wollen.«
    »Hans ist mein Enkel. Sein Vater ist drüben. Der Sohn wird auch drüben sein.«
    »Sie werden unseren Antrag doch wieder ablehnen«, sagte Mutter. Es klang gleichgültig.
    »Wir sind gleich da.« Es war hell geworden. Ein klarer Tag zog herauf. Bald musste die Sonne sich über die Dächer schieben.
    Die Stadt sah im Morgenlicht kühl und sauber aus. Die Scheiben blinkten, die hellen Farben der Häuser leuchteten. Kerzengerade stieg der Rauch aus den Schornsteinen in die Luft. Neue Häuser säumten die breite Zufahrtsstraße, gleichförmige, verputzte Kästen, Fensterreihen, Balkons, Betonstreifen. Je näher sie der Innenstadt kamen, umso mehr wich dieses Einerlei der Reißbrettarchitektur den gewachsenen, engen Straßen, den niedrigen Häusern: Holz, Ziegelwerk, gestrichen, verputzt, gefugt, verwinkelt und locker auf den Marktplatz hin orientiert.
    Gronski schaltete die Scheinwerfer aus.
    Er fuhr über den Marktplatz bis vor das Gebäude der Kreisverwaltung.
    »Sie öffnen das Büro erst um acht Uhr dreißig«, sagte die Mutter. »So früh waren wir noch nie da. Wir werden unter den Ersten sein.«
    Sie bedankten sich bei Gronski.
    »Viel Glück«, wünschte er ihnen und rief Janec zu: »Komm sofort zur Baustelle, wenn du hier fertig bist. Die Heizung des Wagens tut’s nicht. Man kann sie am Morgen schon brauchen.«
    »Klar. Ich komme sofort.«
    Sie stellten sich zu den Leuten, die schon auf der Treppe vor dem doppelflügeligen, großen Portal warteten. Ein Dutzend mochte es sein. Die Frauen hatten sich fest in ihre schwarzen Tücher gehüllt. Die Sonne hatte noch keine Kraft zu dieser frühen Stunde.
    Kurz nach halb drehte sich der Schlüssel von innen im Schloss. Eine Frau drückte die Klinke und öffnete die Tür. Sie betraten das Kreisgebäude.
    »Hunde dürfen hier nicht rein«, sagte die Frau und rasselte mit dem Schlüsselbund.
    »Der wohl«, antwortete Großmutter. »Der ist in einer amtlichen Angelegenheit hier.«
    Die Frau zuckte die Achseln und wandte sich ab. »Mir auch egal«, murmelte sie.
    Auf den langen mit gelben Steinen belegten Fluren hallten die Schritte. Nur sieben Personen warteten vor ihnen. Einige waren von weit her gekommen.
    Sie hockten sich auf eine hölzerne Bank und tuschelten leise miteinander.
    Zum neunten Male stellen wir heute die Anträge, dachte Kristina, und immer wieder bin ich aufgeregt.
    Gegen neun endlich durften die Ersten in das Zimmer. Es dauerte und dauerte. Mehr Menschen kamen und bald reichten die Plätze auf den Bänken nicht mehr.
    Rosa saß zwischen ihren Kindern. Sie hatte längst ihr Häkelzeug ausgepackt. Die Nadel bewegte sich schnell, unablässig. Sie schaute auf ihre kleinen, festen Hände, die rot lackierten Nägel. Geschickte Hände hatte sie. Wenn sie Schreibmaschine schrieb, flogen die Finger nur so über die Tasten. Ihr Chef schwor auf sie. Oft schon hatte er sie zu überreden versucht ihre Pläne auf Aussiedlung aufzustecken. Ihre gute Stelle . . .
    Sie wusste, dass es auch etwas anderes war als nur ihr flinkes Schreiben oder ihre Zuverlässigkeit. Jarosinski sah in ihr nicht nur seine Sekretärin. Wenn er nicht die Hand über sie gehalten hätte, damals, als ihr Mann verschwunden war, sie hätte schnell ihre Stelle verloren. Vielleicht hatte er sich etwas davon versprochen, dass er sie schützte. Mehr, als nach dem Vertrag von einer Schreibkraft verlangt werden kann.
    Er hatte ihr die Wohnung besorgt, eine schöne Wohnung im Neubaugebiet. »Du wirst bei der Alten immer nervöser, Rosa«, hatte er gesagt. Er hatte gemerkt, dass sie es nicht mehr aushielt zu viert in der kleinen Bude mit Flötengedudel, Hundegebell, Keiferei.
    Jarosinski hatte sie kaum seine Enttäuschung spüren lassen, als er bei der ersten Einladung Janecs Sachen

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