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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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entdeckte. »Musste das sein?«, fragte er und lächelte bitter.
    »Natürlich. Der Sohn gehört zur Mutter.«
    »Und deine Tochter?«
    Sie hatte die Achseln gezuckt. Was wusste sie, warum Kristina darauf bestanden hatte, auch nachts bei der Alten zu bleiben. Frech war sie geworden. »Dem Jarosinski wird’s lieber sein«, hatte sie gesagt. Sie hatte dem Mädchen eins hinter die Löffel gegeben. Unverschämt. Und das Körnchen Wahrheit hatte sie am meisten in Wut gebracht.
    Das Körnchen? Sie dachte an Jarosinskis Einladung über ein Wochenende nach Warschau. Ihr fiel seine Geburtstagsfeier ein, bei der sie als Letzte gegangen war. Vier Jahre war Kristian fort. Vier Jahre. Zu lang. Viel zu lang.
    »Es stimmt, was Gronski gesagt hat, Kristian ist ein verrückter Hund«, murmelte sie.
    Schon wie er sie gegen den Willen ihres Vaters geheiratet hatte, damals. Der Krieg war zwar schon zehn Jahre vorbei. Ihr Vater hatte längst die polnische Staatsangehörigkeit bekommen und war ein hohes Tier in der Partei geworden. Kristian war ihm ein Dorn im Auge.
    »Ein guter Ingenieur, aber ein deutscher Windhund«, das war das Mildeste, was er je über Kristian gesagt hatte.
    Recht hat er behalten. Ein verrückter Windhund. Bei einem Besuch der leitenden Ingenieure des Maschinenkombinats in der Volksrepublik Bulgarien hatte er sich in die Türkei abgesetzt. Ohne ein Wort vorher zu sagen. Selbst seine Mutter, die ihm immer die Stange hielt, war betroffen und wollte an eine Flucht zunächst nicht glauben.
    Die erste Post kam nach drei Monaten langen Wartens aus der Bundesrepublik. Drei Monate Ungewissheit, schlaflose Stunden in der Nacht, gelegentliche Vernehmungen bei der Miliz, Rücksprache mit den Kollegen aus dem Maschinenkombinat, Anspielungen der Nachbarn. Keiner glaubte so recht, dass Kristian wirklich niemandem etwas von seinen Plänen gesagt hatte.
    Ein alter Mann schob einen kleinen Wagen von Tür zu Tür über den langen Flur und verteilte die Post. Als er an der Reihe der Wartenden vorbeikam, blaffte Wolf kurz.
    »Sei still, Genosse«, redete der Mann mit ihm. »Hier unten darf man nur so bellen, wie oben vorgebellt wird.«
    Wolf knurrte. »Und zu brummen und zu knurren gibt es auch nichts. Wir leben in einer sozialistischen Republik, Genosse, verstehst du!«
    Die Leute schmunzelten. Der Bote schob den Wagen weiter. Das ältere Ehepaar, das vor ihnen an die Reihe kam, kam schon nach kurzem Aufenthalt in dem Amtszimmer wieder in den Flur zurück.
    Großmutter klopfte an und ging hinein.
    »Warten Sie gefälligst! Wir holen Sie später.«
    »Auch die Miliz muss frühstücken«, sagte Janec.
    »Halt den Mund«, zischte die Mutter.
    »Reinrassig?«, fragte der Mann, der neben Großmutter auf der Bank saß, und deutete auf Wolf.
    »Ich glaube nicht. Er hat Wolfsblut in den Adern.«
    »Ja, man sieht’s an den gelben Augen und an dem Schädel. Ich verstehe was von Hunden.«
    Wolf gähnte.
    »Und das Gebiss«, begann der Mann wieder, »sehen Sie mal, ein unwahrscheinlich starkes Gebiss. Wie sind Sie an den Hund gekommen?«
    »Meine Enkelin Kristina hat ihn von ihrem Onkel in Warschau geerbt. Es konnte keiner mehr mit dem Hund fertig werden, als der Onkel gestorben war.
    Das fing schon in der Nacht vor der Beerdigung an. Ich war mit meiner Schwiegertochter, Janec und Kristina nach Warschau gefahren. Am Nachmittag kamen wir an. Die Tante war ruhig und gefasst. Sie hatte selber mitgeholfen die Leiche zu waschen und im Wohnzimmer aufzubahren. Viele Kerzen brannten. Ich hatte Wiktor vor seinem Tode lange nicht gesehen. Sein ehemals grobes, rotes Gesicht war wächsern, zart.
    ›Seine Seele scheint durch‹, sagte Tante und ich verstand, was sie meinte. Wenn Wiktor auch zu Lebzeiten ausgesehen hatte wie ein Schlachter, er war ein nobler Mensch gewesen.
    ›Warum schaffst du den Hund nicht aus dem Totenzimmer?‹, fragte ich die Tante. Lang hingestreckt, lag Wolf nämlich am Fußende des Sarges, den Schädel zwischen den Vorderpfoten auf den Boden gelegt, regungslos. Wären nicht die merkwürdigen gelben Augen voller Leben gewesen, man hätte den Hund auch für tot halten können.
    ›Das Biest hat mir nie gehorcht‹, antwortete Tante. ›Wir haben schon alles Mögliche versucht. Er rührt sich nicht.‹
    ›Das wäre doch gelacht‹, sagte ich, griff den Hund beim Halsband und zerrte. Er schaute mich an, kläffte nicht und knurrte nicht, schaute mich nur an. Janec hat es mit einem schönen Stück Fleischwurst versucht. Er hob nicht

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