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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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einmal die Nase.
    ›Und hat seit zwei Tagen keinen Bissen gefressen, das Biest‹, sagte Tante.
    Rosa versuchte ihn mit schönen Worten fortzulocken. Die Nachbarn rieten, man solle eine läufige Hündin irgendwo suchen, dann werde er sich schon rühren.
    ›Lasst ihn doch liegen‹, sagte Kristina. ›Er stört doch niemanden. Er hat eben an Onkel gehangen. Wenn Onkel Wiktor erst unter der Erde ist, wird der Hund ihn vergessen.‹
    ›Der krepiert eher! Du kennst seinen Dickschädel nicht‹, meinte die Tante.
    Kristina, meine Enkelin, ging zu dem Hund, kraulte ihm das Nackenfell und sprach leise auf ihn ein. Da passierte es. Wolf wedelte mit dem Schwanz. Zum ersten Mal seit Wiktors Tod bewegte sich das Tier. Schließlich hob Wolf seinen Kopf und legte ihn in Kristinas Schoß. Sie drängte ihn nicht, tätschelte ihn nur und redete mit ihm. Er jaulte leise, als ob er zu ihr Zutrauen fasse. Schließlich leckte er von dem Wasser, das sie ihm in seinen Napf goss. Am Abend ließ er sich von ihr kurz hinausführen. Aber als zur Nacht die Nachbarn kamen und wir bei dem Toten den Rosenkranz beteten, lag er wieder an seinem Platz.
    Es war spät, als wir endlich schlafen gingen. Kristina und ich sollten bei Tante im Schlafzimmer untergebracht werden. Für Rosa stand die kleine Kammer neben dem Wohnzimmer bereit. In der schlief sonst der Sohn Zygmunt, der aber mit zu Nachbarn ging.
    ›Und was machen wir mit Janec?‹, fragte Tante.
    ›Ich schlafe auf dem Teppich, wenn’s sein muss‹, sagte der.
    ›Das wäre noch schöner!‹, protestierte Tante. ›Da ist das Sofa in Zygmunts Zimmer. Ist zwar ein bisschen kurz, aber für eine Nacht . . .‹
    ›Ja klar, das geht gut‹, bestätigte Janec, setzte sich auf das Sofa und wippte. ›Schön weich‹, sagte er.
    ›Sonst schläft das Biest von Köter darauf‹, erklärte Tante. ›Aber Wolf bleibt sowieso nebenan im Wohnzimmer.‹
    Sie schaffte für Janec noch ein Gebirge von Kissen und Deckbetten heran und bald lagen wir in unseren Betten. Der ganze Tag war voller Unrast und Lärm gewesen, die Totenbesuche, die Bewirtung, die vielen Verwandten. Aber nun war es ganz still im Haus.
    Wir sind wohl alle schnell eingeschlafen. Rosa aber schreckte plötzlich auf. Sie hatte an der Tür ein Geräusch gehört, ein Kratzen und Schaben. Die Tür sprang auf, das Kerzenlicht aus dem Totenzimmer fiel in die Kammer. Rosa bekam es mit der Angst. Wenn ein Toter unter dem Dach ist, dann kann das leicht passieren. Es fällt dir dann mit einem Male manch sonderbare Geschichte ein, die du gehört hast und über die du gewöhnlich lachst. Rosa aber war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Der Hund hatte nämlich die Klinke niedergedrückt, sprang zu ihr hinüber und legte die Vorderpfoten auf die Bettkante. Er zog seine Lefzen hoch. Seine großen Zähne schimmerten im Kerzenlicht. Er knurrte tief in der Kehle.
    ›Janec‹, rief sie, ›Janec, wach doch auf.‹
    Schlaftrunken richtete Janec sich auf. ›Was ist?‹, fragte er. ›Warum hast du die Tür aufgemacht?‹
    ›Der Hund, sieh nur, der Hund!‹, klagte Rosa und rutschte in ihrem Bett bis dicht an die Wand.
    Janec stieg aus seiner viel zu kurzen Lagerstatt. ›Wart, ich werd’s ihm zeigen‹, sagte er.
    Aber kaum hatte er das Sofa verlassen und war ein, zwei Schritte auf Wolf losgegangen, da ließ der Hund von Rosa ab und sprang mit einem mächtigen Satz auf seinen alten Platz auf dem Sofa, kugelte sich zusammen und schien zufrieden.
    ›So haben wir nicht gewettet, Freundchen‹, sagte Janec. Er griff Wolf ins Fell und wollte ihn vom Sofa zerren. Aber da schnappte der Hund nach seiner Hand, richtete sich auf und funkelte Janec böse an.
    Janec fuhr erschrocken zurück. Er versuchte den Hund herabzulocken. Aber Wolf achtete nicht auf seine Rufe und legte sich wieder zur Ruhe. Rosa, der unmittelbaren Gefahr entronnen, konnte sich das Lachen nicht verbeißen.
    ›Was machen wir jetzt?‹, fragte Janec. Er stand in seiner Unterwäsche, fror und war wütend auf seine Mutter, die nur kicherte, auf den Hund, der ihm den Platz nicht gönnte, und am meisten auf sich selber.
    ›Hol Kristina‹, rief Rosa. ›Sie ist die Einzige, die den Hund wegschaffen kann.‹
    Janec ging einen halben Schritt durch die Tür ins Wohnzimmer. Das matte Kerzenlicht, der aufgebahrte Tote, das blasse spitznasige Gesicht, kurz, Janec trat wieder zurück in die Kammer und schloss fest die Tür.
    ›Was soll ich jetzt mitten in der Nacht Theater machen‹, sagte er.

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