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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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›Ich ziehe mich an und schlafe da in dem Sessel.‹
    Rosa teilte ihre Zudecken mit ihm. Halb schlafend, immer wieder aufwachend, verbrachte Janec die restlichen Stunden in dem alten Korbsessel und verwünschte den Hund, seine steifen Glieder, den Sessel und die ganze Reise nach Warschau.
    Es blieb auch am nächsten Tage so. Nur Kristina wurde mit Wolf fertig. Ihr allein gehorchte er. Als Wiktor auf dem Friedhof lag, folgte der Hund meiner Enkelin auf Schritt und Tritt. ›Nimm das Biest mit, ich bitte dich‹, flehte die Tante und war bereit sogar die Fahrkarte für Wolf zu zahlen. Was blieb uns schon anderes übrig? So sind wir an den Hund gekommen.«
    »Wirklich, ein sehr schönes Tier«, sagte der Mann, »ich kenne mich aus mit Hunden. Wollen Sie ihn mitnehmen?«
    »Ohne den Hund gehe ich nicht nach drüben«, antwortete Kristina.
    Großmutter strich Wolf über den Kopf. »Das wird sich schon finden, nicht wahr, Wolf!«
    Es war bereits elf, als sie endlich vor dem hölzernen Gitter standen, das den Raum der Länge nach teilte. Vier Schreibtische befanden sich hinter dem Gitter.
    »Sie wünschen?«, fragte ein kleiner Mann, der schmal hinter seinem Schreibtisch hockte. Er schaute auf und blinzelte über die dicken Brillengläser hinweg zu Großmutter hinüber.
    Die reckte sich und schob stumm die Anträge auf die Ecke seines Schreibtischs.
    Der Mann legte seine Zigarre in den Aschenbecher, griff nach den Anträgen und las sie Punkt für Punkt durch. Mit einem dicken Rotstift hakte er die vielen Antworten ab.
    Nachdem er die Anträge durchgesehen hatte, reichte ihm die Großmutter alles, was sie für die Ausreise 1970 beizubringen hatte, den Einladungsbrief aus dem Westen und den Bankauszug von der Überweisung des Fahrgeldes, die Bescheinigung der Arbeitsstelle, dass Rosa und Janec freigegeben wurden, auch die Bestätigungen von der Krankenkasse, dem Elektrizitätswerk, dem Wasserwerk, von der Sparkasse am Ort und auch die von der Gemeinde schließlich. Jede hatte zehn Zlotys gekostet. Auf keiner stand mehr, als dass man keine Schulden habe, dass alles bezahlt sei. Auch war da noch die Erklärung vom Wohnungsamt, dass die Wohnung frei werde und zur Verfügung stehe.
    Er las alles sorgfältig durch. Großmutter lächelte. Neunmal Anträge stellen, das schafft Routine. Sie hatte ihrem Neffen Hubertus im Westen den Brief in Polnisch vorgeschrieben. Sie hatte die Vornamen alle in polnischer Schreibweise aufgeführt, die Orts- und Stadtbezeichnungen entsprachen den Vorschriften.
    »Die Passfotos«, forderte der Mann.
    Auch die reichte sie ihm. Bild für Bild schaute er scharf an. Er verglich jedes Mal lange das Foto mit den Personen und hatte anscheinend keine Einwände. Die Fotos waren erst vor vierzehn Tagen fertig geworden und das linke Ohr war, wie vorgeschrieben, bei allen deutlich zu sehen.
    Er nickte zufrieden und zündete seine inzwischen erloschene Zigarre wieder umständlich an.
    »Was ist mit dem Köter?«, fragte er und deutete mit der Zigarre auf den Hund.
    »Braucht er auch ein Passfoto?«, fragte Janec schnippisch.
    »Natürlich nicht. Aber ist er geimpft?« Großmutter verwies auf die Bescheinigungen. Er blätterte in dem Päckchen herum, fand schließlich die gesuchten Formulare, murmelte: »Tollwut, Staupe«, und legte sie wieder beiseite.
    »Józef, reich mir mal das Lineal herüber«, sagte er zwischen zwei blauen Paffwolken zu dem alten Mann, der am letzten Schreibtisch saß und gerade sein Butterbrotpapier zusammenfaltete. Spannung lag mit einem Male in der Luft. Der Alte warf das Lineal und der kleine Mann fing es geschickt auf. Er legte die Passbilder mit den Kanten nacheinander umständlich gegen die Messskala des Lineals, schob mit der Spitze eines langen Bleistiftes die Fotos um Bruchteile von Millimetern zurecht und starrte lange darauf.
    Dann hob er den Blick, nahm seine Brille ab, putzte die Gläser mit seinem blütenweißen Taschentuch und sagte: »Tut mir Leid. Die Fotos sind zu klein.«
    Mit einer flinken Bewegung legte er die Brille auf den Tisch, raffte die Anträge, Briefe, Bescheinigungen und Unterlagen zusammen und hielt sie Großmutter hin. »Kommen Sie wieder, wenn Sie Fotos mit den vorgeschriebenen Maßen haben.«
    Großmutter schien nicht verwundert. Sie fragte ruhig: »Aber außer den Fotos ist diesmal alles in Ordnung?«
    »Ja«, bestätigte der kleine Mann. »Sie wissen ja, wenn die Fotos nicht vorschriftsmäßig sind, nützt alles nichts.«
    »Ich möchte die Fotos

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