Kristina, vergiß nicht
zurückhaben«, antwortete Großmutter.
Er warf sie auf das Ende des Schreibtisches. Sie nahm sie, steckte die ganzen Unterlagen sorgfältig in ihre Tasche und blieb stehen.
»Nun, Mütterchen, was gibt’s?«
»Ich möchte Ihren Vorgesetzten, den Naczelnik sprechen.«
»Was?«
»Ich möchte den Naczelnik in dieser Angelegenheit sprechen.«
»Was wollen Sie von ihm?«
»Das werde ich ihm selber sagen!«
»Der Naczelnik hat wichtigere Dinge zu tun. Er leitet die ganze Verwaltung. Er will nicht behelligt werden mit so was.«
»Das können Sie nicht wissen. Lassen Sie ihn das selber entscheiden. Melden Sie uns bitte.«
»Den Teufel werde ich tun!« Die Stimme des kleinen Mannes wurde hell vor Erregung. Er sprang auf.
»Wir haben ein Recht darauf, den Naczelnik zu sprechen. Wir werden uns beschweren, wenn Sie das verhindern wollen.«
»Lass sie doch, Lech«, sagte der alte Mann.
»Der Naczelnik ist im Augenblick nicht anwesend«, sagte der kleine Mann verbissen. »Gehen Sie doch selber zu ihm. Zimmer 1. Im ersten Stock. Sie werden schon sehen.«
Sie gingen über den Flur.
»Was hast du vor, Großmutter?«, fragte Kristina. Sie hatte Angst.
»Oma meint, sie könne mit dem Kopf durch die Wand«, antwortete Janec. »Und dabei ist nur Gummi da.«
Großmutter ließ sich nicht aufhalten. »Die Maße stimmen«, sagte sie. »Ich werde es denen heute zeigen.«
Die Tür zu Zimmer 1 hatte keine Klinke. Man musste sich im Zimmer 1 A bei der Sekretärin melden. Die telefonierte gerade. Aus ihren Blicken und Antworten war leicht zu erraten, dass der kleine Lech aus dem Erdgeschoss ihr Gesprächspartner war. Sie legte den Hörer auf.
»Wir möchten . . .«, begann die Großmutter.
»Ich weiß schon Bescheid«, sagte sie spitz. »Der Naczelnik ist nicht anwesend.«
»Wir werden warten«, sagte Großmutter.
»Er kommt erst gegen drei Uhr wieder.«
»Wir warten.«
»Sie können hier nicht warten. Mittags wird das Gebäude geschlossen.«
»Wir warten auf jeden Fall auf den Naczelnik. Wir haben ein Recht darauf . . .«
Großmutters Stimme war schon tief und kräftig, wenn sie ganz ruhig sprach. Jetzt aber füllte sie den Raum.
»Ja aber . . .«, stammelte die Sekretärin und wollte sich gerade ans Telefon flüchten, als die Tür zu Zimmer 1 sich öffnete und ein etwa fünfunddreißigjähriger blonder Mann heraustrat.
»Was ist das für ein Lärm?«, fragte er ärgerlich.
»Sind Sie der Pan Naczelnik, der Vorgesetzte hier im Amte?«, schnappte die Großmutter.
»Ja.«
»Wir müssen Sie unbedingt sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Beleidigung der Republik durch reaktionäre Menschen Ihres Hauses.«
Einen Augenblick standen alle starr. Nur Janec unterdrückte mühsam ein Lachen.
Die Sekretärin fasste sich als Erste. »Lüge!«, rief sie. »Lech Bordczek hat mir am Telefon gesagt, es handelt sich bei diesen Personen um renitente Aussiedler, um Schwabis.«
»Ich bleibe bei meiner Behauptung und ich kann sie auch beweisen.«
Der drahtige Naczelnik hielt die Tür zu seinem Zimmer weit auf und sagte: »Bitte, kommen Sie herein. Aber fassen Sie sich kurz. Ich bin ein viel beschäftigter Mann.«
»Selbstverständlich«, sagte Großmutter.
Sie setzten sich in naturfarbene Holzsessel. Der schöne, helleichene Schreibtisch, die Sitzgruppe, ein weißer Wollteppich, einige moderne Grafiken an den Wänden, lichte Vorhänge, das alles passte wenig zu der Vorstellung von einer Amtsstube.
»Sie haben Geschmack«, urteilte Großmutter.
Sie geht mit ihm um, als ob sie täglich mit Leitern der Kreisverwaltung zu tun hat, dachte Kristina.
Wolf schien sich in dem Zimmer wohl zu fühlen und streckte sich auf dem Teppich aus. Er grub seine Nase tief in die langen Wollfransen und schnüffelte.
Der Naczelnik sagte: »Er riecht die Schafe noch in der Wolle.«
Dann nahm er seinen Schreibtischstuhl und setzte sich zu ihnen. »Worum also geht es?«, fragte er.
Großmutter kramte in ihrer Tasche und legte die Fotos stumm vor ihn auf den Tisch.
»Na?«, fragte er.
»Die Fotos müssen ein vorgeschriebenes Maß haben«, sagte Mutter, als Großmutter beharrlich schwieg.
»Na und?« Der Naczelnik wurde allmählich ungeduldig.
»Der Pan Lech unten hat nachgemessen. Er sagt, sie sind zu klein.«
»Aber liebe Frau, damit wollen Sie mich aufhalten?«
»Die Fotos stimmen auf den Zehntelmillimeter genau!«, sagte Großmutter scharf. Sie holte aus der Tasche ein Stoffpäckchen, wickelte umständlich eine blanke Schieblehre
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