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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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pflanzen.
    Dem alten, gebeugten Männchen mit dem Orden auf der Brust sah niemand mehr an, dass es von neununddreißig bis vierundvierzig in den Wäldern gehaust hatte und der Kopf einer gefürchteten Partisanenschar gewesen war. Seine Rede verlor sich nicht in erinnerungswütiger Geschwätzigkeit. Was der alte Partisan sagte, hatte Hand und Fuß. Er meinte, dass jede Zeit ihre besondere Tapferkeit fordere. Und die sehe heute anders aus als im Krieg. »Zum Beispiel im Bäumepflanzen«, schloss er kurz und bündig.
    Der Leiter des Jugendclubs trat ans Mikrofon. »Ihr kennt Andrzej Milba«, sagte er, »Andrzej hat ein paar Gedichte geschrieben. Sie heißen Verfolgung – Gefangenschaft – Brandöfen. Basia wird sie vortragen. Andrzej und Kristina spielen dazu eine Melodie.«
    Der Leiter verließ das Mikrofon.
    Da schrillte ein lang gezogener Pfiff durch den Saal. »Deutsche unerwünscht«, schrie einer aus dem Halbdunkel heraus. »Schwabis weg!«
    Kristina wäre am liebsten davongelaufen. Mit einem Satz war Andrzej am Mikrofon. Er sprach leise, scheinbar ruhig: »Kristina kennen wir alle. Sie ist unsere Schulkameradin. Sie ist eine gute Flötistin. Deshalb soll sie spielen. Als die Deutschen neununddreißig hier einfielen, war sie noch nicht auf der Welt. Ich finde, es ist dumm auf ihr herumzuhacken.«
    Ein paar klatschten zaghaft Beifall.
    Allmählich trat Ruhe ein. Kristina war auf die Bühne neben Andrzej getreten. Sie begannen die erste Variation zu spielen. Kristinas Ansatz war trotz der Aufregung sicher und klar. Basia rezitierte. Ihre warme Altstimme trug bis in die hinterste Ecke des Saales. Sie musizierten wieder. Allmählich vergaß Kristina den Ort und die Menschen und die Melodie spann sie ein und legte sich schützend um sie. Als die letzten Takte verklungen waren, blieb es eine Weile still, dann mischten sich plötzlich Beifall und Pfiffe, schwollen an zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Stuhlbeine wurden auf den Holzboden gestampft, flache Hände klatschten auf die Tischplatten. Beifall oder Protest, wer wollte das noch unterscheiden? Der Tanzkapelle gelang es durch die Verstärkeranlage den Lärm zu ersticken. Die Tische wurden aus der Mitte des Saales zur Seite geschoben. Schon bewegten sich die ersten Paare auf der Tanzfläche.
    Kristina war erregt. Sie hatte sich gestellt, hatte nicht gekniffen. Hatte ihre Angst bezwungen. Sie war glücklich. Sie wollte fort aus dem Lärm, winkte den anderen zu und verließ den Saal.
    Stanek lief hinter ihr her.
    Sie aber wollte allein sein und verbarg sich in einem Hauseingang, bis Stanek in der Dunkelheit verschwunden war. Ob er zum Freund für sie taugte? Basia hatte Andrzej, Klara ihren Studenten. Und Lippen sind weicher als das Mundstück der Flöte.
    Nach einem weiten Umweg kam sie schließlich zu Hause an.
    »Na, wie war es?«, fragte die Großmutter.
    »Gut war’s. Es hat geklappt.«
    »Na siehst du«, sagte Großmutter. »Es wäre schlimm, wenn ihr euch in diesem Land schämen müsstet deutsche Eltern zu haben.«

Mit einem Veteranen von Bus fuhren sie am Samstag los. Ab elf Uhr waren sie von der Schule beurlaubt worden. Dienst an der Republik, der Einsatz junger Kräfte zur Erfüllung des Planes, das waren Gründe, denen sich keine Schule verschließen konnte. Am Morgen zeigte sich die Welt zum ersten Male in diesem Jahr weiß von Raureif überhaucht. Noch hatte die Herbstsonne Kraft den weißen Staub wegzutauen. Die Hacken und Spaten, die Deckenbündel und Fresspakete hatte der Fahrer im Gepäckraum verstaut.
    Im Bus begrüßte der Leiter des Einsatzes die Mädchen und Jungen, berichtete von anderen jungen Einheiten, die viele tausend Bäume gepflanzt hatten, und deutete an, dass die Presse wohl kommen wollte, um einen Bericht zu schreiben.
    Als er sich noch weiter über die nationale Tat verbreiten wollte und von einem Blatt abzulesen begann, bullerte plötzlich der Dieselmotor los. Mit einem kühnen Sprung nach vorn deutete der Bus seine Kraft an. Der Genosse Leiter versuchte, krampfhaft um Standfestigkeit bemüht, gegen den Motor anzubrüllen, aber Maschinenkraft ist eben doch stärker als Stimmkraft. Er winkte ab und ließ sich auf den Sitz fallen. Die Technik nimmt keine Rücksicht auf die Politik.
    Der Bus quälte sich über kaum befestigte Straßen durch das hügelige Heidegebiet, das Skoronow rings umgab. Die Bauern hatten ihre Last mit den leichten Böden. Der Kunstdünger allein verhalf zu erträglichen Ernten. Weite Wälder lagen zwischen

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