Kristina, vergiß nicht
verwechseln Sie nicht die Flöte mit einem Dudelsack! Bitte, neu!« Und: »Nase und Flöte neunzig Grad! Lernen Sie es denn nie?«
Schließlich die häuslichen Übungen, wie stets wohl abgewogen und zu schaffen, wenn Kristina täglich übte. Aber nur dann. Die kleine bemalte Porzellanuhr auf dem Regal tingelte die volle Stunde. Kristina ließ die Flöte sinken.
»Darf ich noch etwas Privates vorspielen?« Kristinas Herz pochte im Halse.
Die Jablonska schaute Kristina verwundert an. Wie immer hatte sie die ganze Stunde gestanden. Nun setzte sie sich in einen Korbsessel und sagte: »Bitte.« Aus ihrer Tasche holte Kristina Andrzejs Notenheft, schlug es auf, atmete ruhig durch und begann.
Zehn Variationen zu »Es geht ein dunkle Wolke herein« für Flöte und Gitarre. Ohne sie zu unterbrechen, hörte die Jablonska zu. Als Kristina die Flöte wegpackte, schwieg sie lange und starrte vor sich hin. Das Mädchen hatte ihr Flötenetui längst geschlossen und die Noten lagen wohl verwahrt in der Tasche.
Endlich sagte die Jablonska: »Setzen Sie sich, Kristina«, und wies auf das zerschlissene Sofa.
»Woher haben Sie das? Spielt man so etwas neuerdings in der Musikschule?«
»Nein, Frau Jablonska. Ein Mitschüler, Andrzej, hat mir die Noten gegeben. Er spielt Gitarre. Er macht Gedichte. Heute Abend ist im Jugendclub eine Vorstellung. Basia, meine Freundin, liest ein paar seiner Gedichte und wir spielen diese Variationen.«
»Er spielt die Gitarre«, murmelte die Jablonska. Sie legte die Hand vor das Gesicht, einen kleinen Augenblick nur. Alle Strenge aus ihren Zügen war weggewischt, als sie die Hände sinken ließ.
»Es ist, Kindchen, wissen Sie, ich kenne diese Noten gut. Ich spielte sie oft mit meinem älteren Bruder Thadeuz. Er spielte die Gitarre. Er war ein Meister auf diesem Instrument.« Sie griff nach einer silbrigen Blechbüchse, öffnete den Deckel und schob sie zu Kristina hinüber.
»Da, essen Sie. Sie haben mir eine große Freude gemacht.«
Kristina nahm ein hauchdünnes Gebäck heraus. Es schmeckte würzig und süß.
»Meinen Sie, dass ich es spielen kann?«, fragte Kristina.
»Wenn der Gitarrist nur halb so gut spielt wie Sie, Kindchen, dann ist er ein guter Musiker.«
»Es muss gelingen, Frau Jablonska. Ich hatte großen Ärger.«
»Ärger?«
»Die Leitung des Hauses wollte andere Musik. Mehr Patriotisches. Es kommt ein Partisan als Ehrengast, wissen Sie. Aber Andrzej ist stur. Er hat gesagt: Diese Musik oder gar keine.«
»Und woher kam Ihr Ärger?«
»Na ja, es ging nicht nur um die Musik. Es ging auch um mich. Da sind noch mehr, die ein Instrument spielen. Im Jugendorchester.«
»Und?«
»Einer dieser Idioten hat sich mit Andrzej gestritten und gesagt: Was hat diese verdammte Deutsche im Jugendclub überhaupt verloren? Das ist eine nationale, eine polnische Veranstaltung.«
Ärgerlich wischte die Jablonska ein paar Krümel vom Tisch.
»Ich habe Angst. Ich werde gar nicht spielen«, sagte Kristina.
»Sie spielen gut, Kristina. Lassen Sie sich nicht davon beeindrucken, was dieser oder jener sagt. Ihre Musik wird für Sie sprechen. Musik ist nicht polnisch. Sie ist nicht deutsch. Sie ist die Zunge, welche die Menschen von Babylon herübergerettet haben, die sie in allen Sprachen verstehen. Begreifen Sie das?« Sie schien nicht auf eine Antwort zu warten. Plötzlich stand sie auf.
Kristina verabschiedete sich. »Und Grüße von der Großmutter«, sagte sie noch.
Seit die Jablonska ihr Mut gemacht hatte, fürchtete sich Kristina nicht mehr so sehr vor dem Abend im Jugendclub. Das Lob hatte ihr den Rücken gestärkt. Sie würde es einfach wagen.
Sie saß am Tisch mit Basia, Andrzej, Janec, Janina und Stanek. Andrzej hatte einen Krug voll Apfelsaft mitgebracht. »Schmeckt besser heute. Ich habe ihn reichlich gezuckert.« Der Abend ließ sich gut an. Eine Tanzkapelle aus der Kreisstadt hatte ihre Verstärkeranlage aufgebaut. Das Jugendorchester dudelte einen schnellen Marsch herunter. Die Tanzgruppe legte einen Krakowiak auf die Bretter, und die Befürchtung, dass der Redner endlos über die Wichtigkeit des Waldes in den sozialistischen Republiken von einem Blatte ablas, hatte sich nicht verwirklicht.
Tatsächlich zeigte er einige sehr schöne Farbdias. Vom freiwilligen Einsatz der Jugend beim Pflanzen der neuen Kulturen berichtete er witzig und warb geschickt für das Wochenende in vierzehn Tagen, an dem die Mädchen und Jungen aus Skoronow aufgerufen waren junge Bäume zu
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