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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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sie mit »zu Haus« bezeichnete.
    Der Morgen zeigte, dass der Busfahrer das Wetter richtig vorausgesagt hatte. Es war mehr als zwanzig Zentimeter Schnee gefallen und das Thermometer stand bei minus zwei Grad.
    »Sie werden wohl auf Ihren Mann warten müssen«, rief Herr Jardin, der durch den Speisesaal auf die Bienmanns zuschritt. »Bei dem Wetter kann er nicht schnell fahren.«
    Er sah die Enttäuschung in Mutters Gesicht.
    »Lieber später, aber gesund«, tröstete er sie.
    »Gehen Sie ins Haus Nummer drei. Da bekommen Sie den Laufzettel. Steht genau darauf, wo Sie überall hinmüssen.« Los ging es, wie Donatka gesagt hatte. Die ärztliche Untersuchung zuerst.
    Dann die Registrierung, Befragung durch das Rote Kreuz, erste Arbeitsberatung.
    Es war elf Uhr, und Kristina hatte erst fünf der vierzehn Stellen aufgesucht, die auf ihrem Laufzettel angegeben waren. Sie wollte eine Pause machen und mit Wolf durchs Lager streifen. Weil sie die Türe nicht verschließen wollten, lag der Hund seit dem Morgen angeleint in der Stube. Wolf jaulte auf, sprang sie an und versuchte ihr das Gesicht zu lecken.
    »Hast wohl gedacht, wir lassen dich im Stich?«, sagte sie und wich seinen Liebkosungsversuchen flink aus.
    Am Ende des Flurs in der Eingangstür stand ein Mann in einem Wildledermantel. Eine Pelzmütze bedeckte den Kopf bis tief in die Stirn hinein. Seit sie die Fahrt begonnen hatten, war Wolf merkwürdig bedrückt gewesen, hatte sich in der Nähe von Großmutter und Kristina gehalten und, wenn irgend möglich, einen weiten Bogen um alle ihm fremden Menschen gemacht. Selbst dem freundlichen Herrn Jardin, der verschiedentlich mit ihm anzubändeln versucht hatte, war er ausgewichen. Den Mann in der Barackentür jedoch bellte der Hund an. Es war ein hohes Gebell, von Winseln unterbrochen. Kristina hatte ihn so noch nie bellen hören. Sie musste Wolf kurz an die Leine nehmen, weil er versuchte den Mann anzuspringen.
    Der fragte Kristina: »Sind gestern Neue angekommen?«
    Kristina blickte auf die große Ledertasche, die der Mann in der Hand trug.
    »Wir sind gestern Abend angekommen«, antwortete sie, »aber Bienmanns kaufen nichts von Vertretern.«
    »Bienmanns?« Er ließ die Tasche auf den Boden fallen. »Kristina! Mädchen!«
    Den Bruchteil einer Sekunde starrte sie ihn an. Die steile Falte über der Nase bis in die Stirn hinein!
    »Vater!«, schrie sie und umarmte ihn. Wolf sprang rund um die beiden herum und bellte laut und fröhlich. »Er hat dich gleich erkannt. Und ich habe dich«, sie lachte laut und übermütig, »und ich habe dich für einen Vertreter gehalten.«

Mit Vater war alles viel leichter. Er kannte sich aus. Erst gingen sie mit Janec zum Caritashaus und nahmen die Kleiderspende entgegen: Anzug, Oberhemd, Wäsche. Janec sah elegant aus in den neuen Sachen.
    Doch mehr Spaß gab es bei den Frauen, die vom Evangelischen Hilfswerk eingekleidet wurden. Großmutter fand schnell ein Kleid, das ihr gut gefiel. Am längsten dauerte es bei Mutter. Erst als Vater ihr entschieden zu einem flaschengrünen Wollkleid mit einer roten Paspelierung riet und sagte, sie sähe darin genauso jung aus wie vor vier Jahren, da stimmte sie zu. Es gab auch schlechte Nachrichten an diesem Tag. Vater hatte keine größere Wohnung bekommen. In einem Neubau wäre es schon möglich gewesen vier, fünf Zimmer zu mieten.
    Aber dann wäre mehr als ein Drittel seines Lohnes allein für die Miete zu zahlen gewesen. Herr Jardin hörte von den Sorgen. Er wusste Rat.
    »Sie müssen sowieso zuerst nach Unna-Massen. Ausweise und so. Ihre Tochter wird, was die Schule betrifft, beraten. Vielleicht nehmen Sie Ihre Frau zunächst mit und Oma bleibt mit den Kindern erst einmal im Durchgangswohnheim.« Großmutter war davon nicht sehr begeistert. Aber Herr Jardin wies darauf hin, dass die allermeisten zunächst in ein Durchgangswohnheim zögen. Man werde dort schon weiterhelfen.
    Vater ging es nicht schnell genug.
    »Bitte, beeilen Sich sich«, drängte er bei jeder Stelle, die die Bienmanns durchlaufen mussten.
    Der Beamte vom Überprüfungsdienst im Haus drei fragte Vater: »Sind Sie schon lange in der Bundesrepublik?«
    »Vier Jahre. Warum fragen Sie?«
    »Sie haben das Warten bereits verlernt. Die aus dem Osten kommen, die hetzen nicht. Die können noch warten.«
    »Sie haben den Unterschied zwischen den Behörden drüben und hier noch nicht bemerkt, falls es überhaupt einen gibt«, spottete der Vater.
    »Na, na, werden Sie mal nicht frech«, sagte

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