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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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kurzen Abständen hörte man immer wieder die Stiefel im Gang, immer wieder von neuem: »Ihre Pässe, bitte.« Eingehende Kontrolle, wortloses Zurückreichen der Papiere.
    In Berlin wurde es lebendig, Leute hasteten durch den Gang, aber zu ihnen stieg niemand ins Abteil. Auch hier fanden wieder scharfe Kontrollen statt.
    Janec und Mutter waren schließlich eingeschlafen. Selbst Großmutter hatte ihren Kopf gegen das Seitenpolster gelegt und ihre Augen geschlossen. Ihre Lider, dünn und bläulich, zuckten bei jeder harten Bewegung des Zuges. Als zum achten oder neunten Male ein Soldat die Pässe verlangte, sagte sie: »Wollt ihr unsere Personalien auswendig lernen oder was ist?«
    »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das sagte schon Lenin«, war die Antwort.
    Kristina konnte nicht schlafen. Sie faltete die alte Landkarte auseinander. Ihre Augen liefen den Weg voraus, den sie nehmen würden: Braunschweig, Friedland, Ruhrgebiet. Zu Vater. Hoffentlich hatte er eine größere Wohnung gefunden. Im letzten Brief hatte gestanden, er habe einige Eisen im Feuer.
    In der Schule würde es wohl schwer werden. Ihr Zeugnis war gut. Nur in Mathe eine Vier. Dafür in Polnisch und Musik eine Eins. Und sie konnte Deutsch. Sie war besser dran als Janina, die zwar Deutsch verstand, aber es nur gebrochen sprach. Und Weronika erst! Na, wenigstens brauchte die nicht mehr zur Schule.
    Wieder eine Grenze. Soldaten, Zollbeamte. Wieder wurden die Pässe eingesehen. Vopos mit ihren Hunden liefen durch die Gänge. Wolf witterte die Artgenossen, sprang zur Tür und knurrte erregt. Das Fell im Nacken sträubte sich. Ein schmaler Kamm von Haaren spreizte sich die Wirbelsäule entlang bis zum Schwanz hoch auf.
    »Wirklich ein Wolf«, sagte Rosa und zog ihre Beine ein.

    Lange dauerte es, bis der Zug sich wieder in Bewegung setzte. Zwei Männer kamen den Gang entlang. Sie schoben die Tür auf und fragten: »Hier noch frei?«
    »Bitte«, antwortete Großmutter.
    Sie setzten sich. Wolf räkelte sich, stand auf und beschnupperte die Männer. Der eine versuchte den Hund zu streicheln, aber Wolf wich zurück und knurrte.
    »Vorsicht«, warnte Janec, »ist ein Biest.«
    »Sie kommen von drüben?«, fragte der Mann, öffnete seine Ledertasche, nahm eine Flasche Bier und ein Brötchen heraus und begann zu essen. »Konnten Sie den Hund denn ohne weiteres mit rüberkriegen?«
    »Ohne weiteres nicht«, antwortete Kristina. »Er musste geimpft werden.«
    »Wird uns wie ein Klotz am Bein hängen, der Hund«, sagte Rosa. »Was soll man in der Stadt mit so einem Vieh?«
    Kristina griff nach Wolfs Kopf und zog ihn zu sich heran. »Wenn’s nach dir gegangen wäre, dann würde er jetzt in Skoronow herumstreunen.«
    »Er wäre Ihnen vielleicht nachgelaufen«, vermutete der Mann und nahm einen Zug aus der Flasche. Der andere entfaltete eine Zeitung, las, nickte immer wieder ein, zuckte zusammen und riss die Zeitung dann wieder vor die Augen.
    »Ich hab neulich mal gehört, da soll doch wahrhaftig ein Hund seinem Besitzer aus Spanien nach Deutschland nachgelaufen sein. War acht Wochen unterwegs und hatte ganz wunde Pfoten.«
    »Das würde Wolf nie passieren«, lachte Janec. »Der läuft nämlich höchstens drei Kilometer.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte der Mann. Er stellte die leere Flasche unter die Sitzbank. Auch der Zeitungsleser schaute interessiert über den Rand seines Blattes.
    »Er läuft eben nicht weiter. Wenn er drei Kilometer gelaufen ist, dann legt er sich platt auf den Boden und ist nicht zu bewegen noch einen einzigen Schritt zu tun.«
    »Und dann?«
    »Na, meine Tante in Warschau, der der Hund zuerst gehörte, hat zweimal ein Taxi bestellen müssen, den Hund eingeladen und ihn nach Hause chauffieren lassen.«
    Die Männer lachten.
    »Das sollen wir glauben?«, fragte der eine.
    »Braunschweig Hauptbahnhof!«, tönte es aus dem Lautsprecher. Sie hatten ihr Gepäck bereits zur Wagentür geschleppt. Janec stieg aus und Mutter und Kristina reichten ihm die Stücke hinaus.
    Zwei Rotkreuzschwestern hatten sie entdeckt, eilten herbei und halfen. Großmutter lief den Bahnsteig entlang, kam aber ohne Vater zurück.
    »Werden Sie von jemandem erwartet?«, fragte die ältere Schwester, eine schwerleibige, grauhaarige Frau.
    »Ja, mein Vater wollte kommen«, antwortete Janec.
    Die Leute verliefen sich. Der Bahnsteig lag menschenleer. »Er ist nicht da«, stellte Großmutter fest.
    »Bestimmt ist was passiert«, flüsterte Mutter, setzte sich auf den Koffer

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