Kristina, vergiß nicht
der Beamte.
»Hör auf, Kristian.« Mutter ängstigte sich.
»Hier darfst du laut reden, Frau. Hier brauchst du nicht zu kuschen.«
Nach zwei Tagen hatten sie schließlich in Friedland alle Stationen besucht. Am frühen Morgen fuhren Donatkas mit dem Zug los. Wenig später folgten die Bienmanns mit dem Auto. Der Kofferraum von Vaters Ford reichte bei weitem nicht aus. Sie nahmen den Dachträger zu Hilfe. Mutter setzte sich vorn neben Vater.
»Ihr drei passt spielend auf den Rücksitz, Kristina ist ja so dünn wie eine Bohnenstange«, sagte der Vater.
Es kostete einige Mühe Wolf dazu zu bewegen, sich vor das Rückfenster auf die Ablage zu legen. Aber schließlich gelang es doch. Sie fuhren langsam über die Lagerstraße, durch das breite Tor, an der Kirche und am Caritashaus vorbei in Richtung Autobahn. Herr Jardin stand in der Tür und winkte hinter ihnen her.
Janec war begeistert.
»Schafft er mehr als hundert?«, fragte er.
»Aber klar. Nur darf dann der Dachträger nicht beladen sein«, antwortete Vater.
»Mir ist es jetzt schon zu schnell«, sagte Mutter.
Bereits vor Mittag kamen sie in Unna-Massen an. Sie kannten den Ablauf von Friedland her: Registrierung, Sozialhilfehaus, Zuweisung des Zimmers durch den Blockverwalter. Am nächsten Tag dann die Meldebehörde, Rentenberatung für Großmutter, Arbeitsamt. Sie erhielten gegen Quittungen Decken, Kochgeräte, Porzellan.
Mit einem Herrn Schulz überlegten sie, was mit Kristina und Janec zu tun sei. Er riet, dass Janec möglichst den Hauptschulabschluss nachholen sollte. Aber davon wollte der Junge nichts wissen.
»Ich habe ein Zeugnis, bitte schön, lesen Sie. Ich bin Elektriker. Zur Schule gehe ich nicht mehr.«
Vater redete ihm zu, aber Janec wurde immer verschlossener und sagte außer »Ich werd’s nicht tun« gar nichts mehr.
»Eine Arbeit als Elektriker für ihn zu finden wird vielleicht möglich sein«, sagte Herr Schulz.
Vater schlug schließlich vor: »Dann soll er gleich mit uns fahren. Er muss allerdings in der kleinen Kochküche schlafen, bis wir eine größere Wohnung bekommen. Zur Not wird es gehen.«
Herr Schulz nickte. Vater fügte hinzu: »Am liebsten würde ich sofort losfahren.«
»Alles braucht seine Zeit«, antwortete Herr Schulz. »Sechs bis acht Wochen bleiben die meisten bei uns und manche sogar viel länger, weil sie einen Kurs in Deutsch, Metallverarbeitung oder als Schweizer in der Landwirtschaft mitmachen.«
»Ich habe wenig Zeit«, sagte Vater.
»Es wird sicher möglich sein, dass Sie Ihre Frau und Janec zunächst mitnehmen. Sie müssen dann von Zeit zu Zeit mit ihnen hier herüberfahren, damit alles geregelt wird, Versicherung, Ausweise, Lastenausgleichsgelder zum Beispiel.«
»Und was wird mit Großmutter und Kristina?«, fragte Mutter.
»Ich rate Ihnen«, sagte Herr Schulz, »dass die beiden Frauen zunächst hier in Massen bleiben. Wir regeln von hier aus alles mit Ihrer Stadtverwaltung, Herr Bienmann. Und dann ziehen die Frauen in ein Übergangswohnheim, bis Ihr Wohnungsproblem sich gelöst hat.«
»Werde ich den Hund mitnehmen können?«, fragte Kristina.
»Aber sicher«, antwortete Herr Schulz.
Dabei blieb es. Großmutter und Kristina mussten das große Zimmer räumen, das ihnen zunächst zugewiesen worden war. Vater und Janec trugen das Gepäck in ein kleineres Zimmer. Die Küche hatten sie mit vier weiteren Familien zu teilen.
»Aber heute wird nichts gekocht. Heute lade ich alle zum Essen ein«, sagte Vater. Sie fuhren mit dem Auto nach Dortmund hinein.
»Wir essen im Kaufhaus.« Vater lotste sie sicher durch das Gedränge der Mittagsstunde. Mutter hatte sich bei ihm eingehakt und wich ihm nicht von der Seite. Es schien Kristina, als ob Mutter jünger aussehe. Die Falten um ihren Mund waren weggewischt, sie war lustig, beinah ausgelassen. Vergessen schienen die Sorgen der vier Jahre. Vergessen die Grübeleien über Vaters plötzliche Flucht. Vergessen auch Jarosinski?
»Es wird sicher alles wieder wie früher«, sagte sie unvermittelt.
»Was meinst du?«, fragte Janec.
»Es wird so schön wie früher«, rief sie laut. »Noch viel schöner wie früher!« Mutter lachte und Vater drückte sie fest an sich. Kristina verschlug es die Sprache, als sie die Warentische und Regale im Kaufhaus sah, gefüllt mit Nahrungsmitteln aus der ganzen Welt, Berge von Apfelsinen, Ananas, Äpfel, Birnen – jetzt mitten im Winter Birnen –, die Stoffe, Kleider, Pullover, Wäsche.
Dann das Gedränge der Leute, die
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