Kristina, vergiß nicht
›Dieser dreiste, faule Bursche‹, stotterte sie, Tränen der Wut in den Augen, ›man wagt es kaum zu sagen! Er hat mir unter den Rock gegriffen.‹
Es kam mir vor, als ob der Pan Direktor mit Mühe das Lachen unterdrücke.
›Was sagst du dazu?‹, fragte er.
Ich nickte nur.
›Warum?‹
›Die Straße, dort die Straße! Ich wollte sehen, wo die Straße hingelaufen ist‹, sagte ich und zeigte auf die Wade der Kolacki.
Sie schaute auch dorthin, wohin ich zeigte. ›Auch das noch!‹, schrie sie. ›Habe ich mir beim Aufspringen den herrlichen Strumpf zerrissen. Und alles wegen dieses Früchtchens!‹
›Er spinnt‹, schloss der Pan Direktor das Verhör.
›Sie werden doch die Eltern benachrichtigen? Wegen der sittlichen Gefährdung‹, sagte die Kolacki scharf.
›Aber selbstverständlich, wenn Sie es wünschen.‹«
»Aber er hat nicht geschrieben. Prüde war sie immer schon«, sagte Mutter.
»Aber ich war abgemeldet bei der Kolacki. Endgültig. Vier Jahre lang konnte ich machen, was ich wollte. Sie hat mich nicht hochkommen lassen. Dann hatte sie mich so weit. Ich wurde von der vierten Klasse ab der, für den sie mich schon in der ersten gehalten hat: der dreiste, faule Janec Bienmann.«
»Trotzdem ist es eine Schande«, sagte Großmutter. »Kann reden wie ein Professor. Das hat er von seinem Vater. Der konnte das auch. Und will nicht zur Schule!« Sie wandte sich an Vater: »Kristian, du solltest ein Machtwort sprechen. Ein väterliches Machtwort. Schließlich ist er dein Sohn und hat zu parieren.«
Vater lachte.
»Du wirst sehen«, sagte er, »er wird schon seinen Mann stehen. Die Zeit, in der der Vater spricht und der Junge gehorcht, die ist hier im Westen schneller weggelaufen als drüben. Wirst du schon sehen, wart nur ab.«
»Liegt das an den ungehorsamen Burschen oder liegt das an den bequemen Vätern?«, spottete Großmutter.
Der Vater brach das Thema ab. Von der Telefonzelle aus riefen sie später die Verwandten an, die schon 1945 in den Westen gekommen waren.
»Ich werde mich darum bemühen, dass Janec eine Stelle bekommt«, versprach Vaters Vetter Hubertus.
»Hubertus hat zwar einen Arm im Krieg verloren«, scherzte Vater, »aber mit dem anderen, der ihm geblieben ist, reicht er weit.«
Sie brauchten, als sie zum Wohnheim zurückkehrten, den Abmeldeschein nur noch zu unterschreiben. Er lag bereits fertig da.
Mutter drängte zum Aufbruch.
»Ich will die Wohnung sehen. Ich will endlich wissen, wo ich zu Hause bin.«
»Gib uns deine Telefonnummer, Kristian, und dann fahrt los«, sagte Großmutter zu Vater.
Kristina bat ihn: »Und holt uns bald, bald nach.«
Janec
Der Abschied von Gronski fiel mir schwer. Ich habe die Heizung am Lkw hingekriegt. Er hat die ganze Zeit dabeigestanden, hatte lange nichts gesagt, nur zugeschaut. Gronski hat nie viele Worte gemacht. Aber genau zum richtigen Zeitpunkt hat er mich immer erwischt.
Erst als Vater verschwunden war: »Wenn du mit der Schule fertig bist, komm zu mir. Ich werde dich anfordern.«
Damals dachte ich: Der ist doch in der Partei.
Als sie über Mutter und Jarosinski redeten. »Jeder muss sein Leben leben. Urteile nicht über sie. Beurteile dich selbst.«
Damals dachte ich: Auf den kann man bauen. Dass er in der Partei war, störte mich nicht.
Als sie einem anderen die Elektrowerkstatt unterstellten, obwohl er der Tüchtigere war. »Das ist nicht so wichtig, Janec. Die Sache unserer Republik ist wichtig. Unsere Arbeit ist ein Dienst.« Der redet nicht nur von der Partei, wie etwa mein Großvater, der Bonze.
An dem Tag nach dem Richtfest, auf dem wir beide ziemlich blau gewesen waren (ich übrigens zum ersten Mal). »Schön, so auf der Wolke zu segeln, Janec, nicht wahr? Aber denk dran, was ich dir sage: Die blaue Wolke trägt dich jedes Mal ein Stückchen weiter von dir selbst weg.« Er hat in der Partei gelernt seinen Kopf zu gebrauchen.
Schließlich heute, am letzten Tag auf der Baustelle. »Lass dich nicht einfangen. Sie haben drüben allerhand Spielzeug. Frag dich, was bleibt. Wenn dann nichts mehr ist, keine Idee, keine Menschlichkeit, kein Glück, dann war das alles nichts wert. Es hat dich zu einem Nichts gemacht.« Ich sagte ihm, dass ich am liebsten bleiben würde, und er hat geantwortet: »Die Sache der Partei braucht überall ihre Zeugen.« Gronski ist ein Kerl, der mehr durch sich selbst begreiflich macht, dass die Idee ein Weg in ein besseres Land ist.
Ich sehe in der blank geputzten Autoscheibe Gronski und
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