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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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fünfzig. Die wurden einer Familie mit großer Kinderzahl zugeschlagen oder mit zwei Personen belegt, jungen Eheleuten, oder eben mit dem Ausnahmefall Großmutter, Enkelin und Hund.
    Am Nachmittag war Kristina zur Mutter gefahren. Über eine Stunde dauerte die Fahrt, denn das Haus lag in einem anderen, weit entfernten Stadtteil. Vater hatte ihr in einen Stadtplan genau eingezeichnet, wo die Straße lag, in der er die kleine Wohnung gemietet hatte.
    Das Wohnschlafzimmer war ein großer Raum, geschmackvoll möbliert, bedruckte Leinenvorhänge, Teppichboden. In der kleinen Küche musste Janec abends den Tisch zur Seite rücken, wenn er eine Gartenliege auseinander klappte, auf der er schlief. Die Mutter zeigte mit Eifer und Stolz der Tochter alles, was Vater in den vier Jahren angeschafft hatte: den großen Fernseher, die Polstereckbank, die mit wenigen Handgriffen in ein breites Bett verwandelt werden konnte, den Elektroherd, die elektrische Brotschneidemaschine, den Kühlschrank mit dem Tiefkühlfach, die Anzüge und die Wäsche im Kleiderschrank, das graue handgetöpferte Kaffeegeschirr.
    Mutter war wie damals, unbeschwert, fröhlich.
    »Was war mit Jarosinski?«, fragte Kristina sie.
    Wie weggewischt war die Freude auf Rosas Gesicht. Kristina hätte die Worte am liebsten zurückgeholt.
    »Ich weiß, was du davon denkst. Du bist genau wie die Alte. Du wirst es nicht verstehen. Ich war mit zwei Kindern allein. Ich hatte Angst. Jarosinski war der Einzige, der zu mir sagte: ›Halt den Rücken steif, Rosa. Schlimme Zeiten kommen, schlimme Zeiten gehen.‹«
    Rosa setzte sich. Kristina legte ihr die Hand auf den Arm. Rosa schaute sie an.
    »Ich hab den Jarosinski hinter mir gelassen, Tochter. Zerr du ihn nicht wieder hervor.«
    Kristina drückte ihr den Arm. »Nein, Mutter.«
    Bald darauf kamen Janec und Vater von der Arbeit. Sie tranken gemeinsam Kaffee.
    »Ich muss gehen«, sagte Kristina.
    »Wir haben eine Überraschung für dich.« Mutter strahlte.
    Kristina musste die Augen schließen. Mutter und Vater hatten für sie einen hellblauen Hosenrock mit weißem Pulli gekauft. Er passte, als ob Kristina beim Kauf dabei gewesen wäre.
    Janec pfiff anerkennend durch die Zähne. »Wann gehen wir miteinander aus, Schwesterchen?«, fragte er.
    Sie ließ die neuen Sachen gleich an. In der Straßenbahn schaute sie danach aus, ob den anderen Fahrgästen ihre neue Kleidung nicht auffiel. Doch außer dem aufdringlichen Starren eines pickeligen Halbwüchsigen, das wohl kaum ihrer Kleidung galt, bemerkte sie nichts. Niemand sonst beachtete sie.
    Großmutter drehte das Mädchen im Kreise, schaute sie kritisch an und sagte: »Nicht übel. Mädchen in Hosen sind zwar nicht mein Fall, aber dir steht’s. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass eine Frau aus dir geworden ist. Du bist nicht mehr ganz so dürr.«
    »Hast du die neuen Nachbarn schon gesehen, Großmutter?«
    »Ja. Hab ich. Die Familie Krobus wirst du noch kennen lernen. Wir sind heute Abend auf eine Tasse Tee eingeladen. Zum Empfang sozusagen. Die andere Familie am Ende des Flurs heißt Bronski. Sie lebt schon seit über zwei Jahren hier im Übergangswohnheim. Der Mann ist fest in Arbeit auf dem Werk. Fünf Kinder gehören dazu, aber davon sind nur die beiden kleinsten und der älteste, der Waclaw, hier.«
    »Und die anderen?«
    »Sind nicht weit von hier in einem Internat untergebracht. Sie gehen in die Förderklasse.«
    »Zum Deutschlernen?«
    »So heißt es. Aber Frau Bronski ist ziemlich niedergeschlagen. Sie erzählt, dass die Kinder wenig Fortschritte machen, weil sie unter sich immer polnisch sprechen.«
    »Ja«, bestätigte Kristina, »vor der Haustür waren ein paar in meinem Alter. Die sprachen auch polnisch. Aber schließlich ist das ja kein Verbrechen.«
    »Wer redet von Verbrechen? Aber wie es damit gehen kann, hat die Bronski auch gesagt. Ihr Ältester ist vor einem Jahr aus der Förderklasse in das normale Schuljahr zu den anderen Kindern gekommen. Ein halbes Jahr hat’s gedauert. Dann ist sie zum Lehrer bestellt worden. Waclaw sei faul und störe den Unterricht, hat er ihr gesagt. Sie möge besser auf ihn Acht geben.
    ›Er versteht Sie nicht gut‹, hat sie erklärt, ›er möchte schon besser sein, aber er versteht Sie nicht, Sie sprechen viel zu schnell.‹
    ›Was Sie nicht sagen‹, hat er darauf erwidert, ›ich habe zweiunddreißig Schüler in der Klasse. Keiner hat sich bisher beschwert, dass er mich nicht versteht.‹
    ›Aber Sie wissen doch . . .‹,

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