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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Stenokurs. Nur mit unserer Kristina können Sie nichts anfangen, weil sie nicht in Ihr Schema passt. Kommt aus Polen, spricht gut Deutsch. Hat in Russisch eine Eins, aber kann keine vier Jahre Englisch nachholen, in Musik war sie die Beste der Klasse, aber . . .«
    »Einen Augenblick, Frau Bienmann«, unterbrach Herr Blasereit sie. »Sagten Sie Musik?«
    »Ja. Warum nicht? Sie war auf einem musischen Lyzeum in der Stadt.«
    Herr Blasereit wandte sich an Kristina: »Spielst du ein Instrument?«
    »Ja. Querflöte. Acht Jahre Musikschule und Privatunterricht.«
    »Mir dämmert da was.«
    Er suchte eine Nummer aus dem dicken Telefonbuch heraus und rief an. Es wurde ein langes Telefonat. Als er den Hörer auf die Gabel zurücklegte, atmete er tief.
    »Das wird gehen. Übrigens«, er lächelte verschmitzt, »das war das siebenundzwanzigste Telefonat, das ich für Kristina führte.«
    »Verzeihen Sie«, sagte Großmutter verlegen.
    »Schon gut. Es gibt da ein Gymnasium, in dem Musik ganz groß geschrieben wird. Am Montag kann sich Kristina vorstellen.« Er schrieb die Adresse auf einen Zettel. »Vielleicht holt Sie Ihr Vater am Sonntag ab?«
    »Danke«, sagte Kristina.
    »Aber auch Sie müssen noch ein-, zweimal zurückkommen. Vor allem wegen Ihrer Rente, Frau Bienmann, das geht alles nicht so schnell.«
    »Jaja«, sagte Großmutter. »Das Warten, das Warten! Drüben warten. Hier warten. Der Rest des Lebens zerfließt und wir warten. Ich werd’s nie richtig lernen.«

Es hatte nicht viel gefehlt und Kristina hätte sich anderswo nach einer Schule umsehen müssen. Die Entscheidung hing am seidenen Faden. Dieser Seidenfaden wog allerdings gut zwei Zentner und hatte einen kurz geschorenen, dicken Graukopf. Obwohl Kristina nur eins fünfundsechzig groß war, konnte sie auf ihn hinabsehen. An ihr vorbeisehen, das konnte nicht einmal Oberstudiendirektor Haberfeld, der Leiter der Schule.
    Der schilderte seinem Musiklehrer kurz und knapp Kristinas Problem und fragte den Klotz von einem Mann: »Was meinen Sie, Herr Kollege? Hat die junge Dame eine Chance?«
    »Solange ich sie nicht spielen höre, weiß ich gar nichts.«
    Der Direktor reichte ihm Kristinas Zeugnis. Er starrte darauf, rückte an seiner goldgefassten Brille, legte das Blatt wieder auf den Tisch zurück und schmunzelte: »Wunderbar, Kindchen, in Musik eine ausgezeichnete Zensur.«
    Der Direktor lachte verblüfft auf und rief aus: »Sagen Sie nur, Doktor Schmuda, Sie können Polnisch lesen?«
    »Nein, das gerade nicht.«
    »Ja, woher wissen Sie denn, dass sie eine Eins in Musik hat?«
    »Ganz einfach, Kollege. Wenn Sie mich in einem schwierigen Fall zu Rate ziehen, dann hat dieser Fall in Musik immer eine Eins.«
    Kristina war von der ersten Minute an von diesem Musiklehrer beeindruckt.
    »Spielen Sie«, forderte er Kristina auf. »Musik eine Eins, was weiß ich, wer das geschrieben hat.«
    Großmutter reichte Kristina die Flötentasche und nickte ihr aufmunternd zu.
    »Jetzt? Hier?«, fragte das Mädchen.
    »Jetzt! Hier! Und bitte schnell, in fünf Minuten habe ich den Chor bestellt. Ich bin hier nämlich vor allem für die edle Musika zuständig und weniger für die Laufbahnberatung.« Er blickte den Direktor über die Brillengläser hinweg an.
    Kristina schob die Teile ihrer Flöte zusammen. Doktor Schmudas Interesse wurde hellwach. Er trat nahe an Kristina heran, schob die Brille wieder dicht vor die Augen und murmelte: »Gutes, altes Instrument. Herrliche Arbeit. Soll mich wundern . . .«
    »Was soll ich spielen?«, fragte Kristina.
    »Oho? Haben Sie ein solches Repertoire? Na, spielen Sie Vivaldi oder Leclair oder was Sie mögen.«
    Kristina war der Jablonska dankbar, dass sie so sehr auf Vivaldi herumgehackt hatte, und spielte den ersten Satz aus dem Flötenchor G-Dur an.
    Doktor Schmudas Gesicht glänzte auf. Er bewegte die Hände ein wenig, eine Andeutung eines Dirigierens, und unterbrach sie nicht.
    Als der Direktor ein behutsames »Herr Kollege, denken Sie nicht . . .« einflocht, verlangte dieser mit einer ärgerlich abwehrenden Bewegung Ruhe.
    Kristina setzte die Flöte ab.
    »Weiter, den langsamen Satz, Kind«, sagte Doktor Schmuda. Doch nun griff der Direktor ein. »Sie müssen zum Chor, Herr Doktor. Schließlich sind Sie hier vor allem für die edle Musika zuständig. Stilles Genießen hat eine andere Zeit.«
    »Ja, zum Kuckuck, mein Chor.« Er eilte zur Tür, drehte sich um, stürzte auf Großmutter zu, sagte: »Auf Wiedersehen, meine Dame. Ihre Tochter

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