Kristina, vergiß nicht
im Bettenhaus.
»Wie schön«, sagte Kristina, als sie die lichten, hell möblierten Räume sah. »Hier kann man sich wohl fühlen.«
Genau das gelang die nächsten Tage hindurch: Sie alle fühlten sich wohl. Am Nachmittag fuhren zwei Busse vor. Die Zimmer füllten sich. Aber es war hier doch ganz anders als in der Lützmannstraße. Die Kinder hatten Auslauf im Park, ein großes Haus bot vielerlei Spielmöglichkeiten. Stanek gesellte sich zu einer Gruppe, die Teller mit Farben bemalte. Später wurde die bemalte Keramik im Ofen gebrannt. Stanek hatte auf ockerfarbenem Untergrund einen blaugrünen Pfau gemalt, der über den Tellerrand hin sein Rad schlug. Nach dem Brand leuchteten die Farben beinahe wie Emaille. Alle bestaunten Staneks Werk.
»Du müsstest öfter malen«, riet Kristina ihm.
»Gefällt dir der Teller wirklich?«, fragte Stanek.
»Aber sicher. Ich hätte nicht gedacht, dass eine harte Maurerhand so etwas Zartes schaffen kann.«
Er strahlte.
»Und was macht ihr?«, fragte er.
Kristina ging mit ihm in einen anderen Raum, in dem John mit den Bronski-Kindern und einigen Frauen saß und Eier bemalte. Bei John blieb Stanek lange stehen und schaute zu, wie der an einem dunklen Ei mit tausend kleinen Kratzern Teile der braunen Färbung abschabte und weiße Buchstaben hervorkamen.
»Wird das Ei für Kristina?«, fragte Stanek misstrauisch.
»Wie kommst du darauf?« John wurde ein wenig verlegen.
»Nun, du schreibst ihren Namen.«
»Ihren Namen?« fragte John erstaunt.
»Ja, hier steht der Anfang: Christi . . .«
John las, was er geschrieben hatte, und sagte: »Könnte stimmen. Aber ich weiß längst, dass Kristina sich mit K schreibt. Dies wird, wenn es fertig ist, heißen: ›Christ ist erstanden.‹«
Stanek gab sich zufrieden.
»Glaubst du das denn, was du da schreibst?«, fragte er.
»Sonst würde ich was vom Osterhasen schreiben«, antwortete John.
Am Mittwochnachmittag machten sie einen Ausflug zur Villa Hügel. Janec und Vater kamen gerade noch rechtzeitig, um mitfahren zu können.
»Das ist ein Protzbau der Kruppfamilie«, erklärte John. »Er liegt in einem ungeheuer großen, mit seltenen Bäumen bestandenen Park.«
»Erlauben denn die Krupps, dass man ihr Haus besichtigt?«, fragte Kristina.
»Das ist sogar erwünscht. Ausstellungen sind dort. Wir werden gleich Funde aus dem versunkenen Pompeji sehen.«
»Fotoapparate abgeben«, schnarrte der livrierte Mann am Portal.
»Wie bitta schön?«, fragte Weronika, die ihn nicht verstanden hatte. Stanek übersetzte es ihr ins Polnische. Da sagte der Wärter: »Aber nichts klauen da drin, capito?«
»Bei uns haben wir nicht einmal die Türen verschlossen. Da hat niemand gestohlen«, antwortete Janec gereizt.
»Hattet sicher auch nichts am Hintern, ihr Makkaronis.« Der Wärter lachte, drehte sich um und ging davon.
»Sind das deine Deutschen?«, fragte Janec Großmutter ironisch.
»Das war einer. Es gibt auch andere«, antwortete Großmutter kurz angebunden.
Die Sonne meinte es gut. Das Café hoch über dem Baldeneysee erlaubte einen Blick über das weite Tal hin. Sie hatten in Gruppen an kleinen Tischen Platz genommen und bestellten Kaffee und Kuchen.
»Warum sitzen die Kinder so ruhig und reden kein Wort?«, wunderte sich John.
»Das ist«, sagte Stanek, »sie fühlen sich nicht wohl. Ihnen geht’s wie euerm Hund. Da, sieh mal, wie er sich unter unserm Tisch versteckt und den Schwanz einklemmt. Der Ober in der Uniform, die vielen Teppiche. Die Kinder kennen so was nicht.« Janec fuhr fort: »Und die Erwachsenen fühlen sich auch beengt. Sie wollen nicht auffallen. Sie ducken die Kinder.«
»Und ihr?«, wollte John wissen.
»Na, weißt du«, lachte Stanek gezwungen, »ich hab Angst, ich mach einen Kaffeeflecken aufs Tischtuch.«
»Ist nicht leicht für euch, das Einleben hier«, sagte John.
»Am schwersten für die Kinder«, bestätigte Kristina.
»Ich dachte, denen fällt es gerade leicht?«
»Wär auch vielleicht so, aber alle, die nach fünfzig geboren sind, sprechen kaum ein Wort Deutsch.«
»Du hörst es ja bei mir«, sagte Stanek und übertrieb, »deitsches Spraak, schwäres Spraak.«
»Ihr müsst aus dem Übergangswohnheim heraus. Unter sich sprechen die Kinder nur polnisch. Sie müssten unter Leute, die nur deutsch sprechen.«
»Es gibt viele Menschen im Übergangswohnheim, die sind ganz froh, dass sie dort lange bleiben können«, sagte Kristina. »Sie sind unter sich. Sie streiten sich zwar oft, aber sie
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