Kristina, vergiß nicht
Spaß.«
»Wieso?«
»Was soll denn das, jungen Männern die Füße waschen.«
»Ich meine, das zeigt genau das an, was Jesus auch hat sagen wollen, als er den Jüngern die Füße wusch, nämlich, dass die Priester die Diener der Gemeinde sind.«
»Wieder ein Scherz, Herr Pfarrer«, höhnte Janec. »Bei uns haben die alten Frauen dem Pfarrer die Hand geküsst.«
»Ich, Janec, sehe das jedenfalls so, wie ich es sagte«, antwortete der Pfarrer.
»Das möcht ich erleben«, knurrte Janec. »Sozusagen am eigenen Fuß.«
So kam es, dass Janec sich im Bad den Fuß seifte wie nie vorher in seinem Leben.
»Ich meine, er würde dir vom Pfarrer gewaschen«, spöttelte Kristina.
»Dumme Gans«, maulte Janec.
Obwohl Janec später zugab, dass ihn die Abendmahlsfeier berührt hatte, blieb er den anderen Gottesdiensten fern. »Fast hätte ich in der Schlinge gesessen«, lachte er.
Mit John ließ er sich in lange Streitgespräche ein. »Das kann doch einfach nicht stimmen, was da in der Bibel steht. Das mit Jonas im Fischbauch. Das mit den Wassermauern im Roten Meer. Das mit den Heiligen Drei Königen.«
John lächelte und sagte: »Du kommst mir vor wie der alte Graf.«
»Was für ein alter Graf?«
»Ach, das soll eine Geschichte des berühmten Zeichners Gulbransson sein. Mein Vater hat sie mir erzählt, und wie ich ihn kenne, hat er sie bestimmt ausgemalt.«
»Erzähl sie. Denn Janec als Graf, das möcht ich hören.«
»Der alte Graf war krank und lag schon wochenlang im Bett. Der Arzt hatte ihm streng das Rauchen verboten. Trotzdem genehmigte er sich täglich, wenn der Doktor am späten Nachmittag seinen Besuch gemacht hatte, eine seiner geliebten Havannas. Er machte daraus jedes Mal eine feierliche Zeremonie. Auf einem Tablett aus Sandelholz servierte sein Diener ihm die Zigarre.
›Na, lies schon!‹, drängte ihn der Graf. Der Diener nahm dann die Familienbibel und las ein volles Blatt vor. Dann hielt er inne.
Der Graf schaute ihn an und fragte: ›Glaubst du das, Franzl?‹
Der Diener antwortete jedes Mal: ›Nein, Herr Graf.‹
›Dann reiß raus, mein Sohn‹, befahl der Graf.
Franzl riss das Blatt heraus, faltete sorgfältig einen Fidibus daraus, entzündete den an der Kerze und hielt die Flamme dicht vor die Spitze der Zigarre. Dann paffte der Graf genießerisch und ohne Rücksicht auf die Mahnungen des Arztes.
So rauchte er sich im Laufe der langen Krankheit durch die fünf Bücher des Moses, löste Josua, die Richter, Ruth in blauen Dunst auf. Die Bücher Samuels, die Könige, Esther, Job, die Psalmen, Salomons fromme Sprüche, sie wandelten sich in dicke Schwaden.
Besonderen Rauchgenuss schenkte ihm das Buch der Prediger, das ihm geradezu an die Raucher adressiert schien. ›Rauch, Rauch, spricht Kohelet, Rauch, Rauch, alles ist Rauch. Was bleibt dem Menschen von all seinem Reichtum, für den er sich abmüht unter der Sonne?‹ Das war die einzige Bibelstelle, die sich der Graf zweimal vorlesen ließ, bevor er sie, sozusagen als Beweis, anzuzünden befahl.
Jesaias folgte, Jeremias, Daniel, Habakuk bis hin zu Zacharias und Malachias, lauter fromme Wölkchen unter der Zimmerdecke.
Nach drei Jahren und hundertacht Tagen stieß er auf das Neue Testament, und nach einem weiteren Jahr las eines Abends der Diener die letzten Worte der Schrift: ›Es spricht, der dies bezeuget: Ja, ich komme bald. Amen. Ja, komm, Herr Jesus. Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit allen Heiligen. Amen.‹
›Glaubst du das, Franzl?‹, fragte der Graf und drehte schon das Zigarrenende genießerisch zwischen seinen Lippen.
›Könnt schon was dran sein, Herr Graf. Ich mein, dass wir’s bald genug wissen. Weil wir schon so alt sind, Herr Graf.‹ Zwar brachte auch die letzte Seite die Havanna zum Glühen, aber schon nach wenigen Zügen legte der Graf die Zigarre auf das Tablett zurück und knurrte missmutig: ›Hast mir den Geschmack verdorben, Kanaille.‹«
Janec sagte: »Lustige Geschichte. Aber was hat das mit mir zu tun?«
John sah ihn an, lachte verschmitzt und antwortete: »Du hast auch Stück um Stück aus deiner Bibel herausgerissen. Weil du nie daran gedacht hast, dass es hinter der Wahrheit der Fakten noch eine ganz andere Wahrheit gibt.«
»Red nicht in Rätseln.«
»Na, vielleicht ist keine Zeile von dem Buch Jonas wirklich passiert. Aber steckt nicht doch die Wahrheit darin von dem Menschen, der vor Gott auf der Flucht ist? Und dabei in die schwarze Finsternis gerät? Und selbst da schützt ihn Gottes
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