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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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wunderbaren Dichterkönigin zogen die Jungs das Eponym wie von selbst. Das war neuer Zündstoff, und sie setzten die Mädchen schwer unter Druck – was für eine Dynamik plötzlich am Alten Gymnasium, was für ein Bruch mit den Konventionen: Zungenküsse, Finger im festen Fleisch, und die Röcke wurden immer kürzer. Alles wegen Konrad Leysieffer, und das Geschwätz hörte nicht auf.
    Auf dem Schulhof hatte es sich längst aus jeder Verengung gelöst; das allgemeine Urteil ließ nur noch eine Möglichkeit zu, und alles Halbwissen war Grundlage genug, abgeklärt zu erscheinen. Jede öffentliche Liebelei war Beweis der eigenen Integrität, und Konrad Leysieffer wurde ganz hemmungslos diffamiert. Und natürlich war es vom Schulhof in die Stadt nur ein Katzensprung.
    Willems Mutter reagierte anfangs immun – auf solche Gerüchte wollte sie nichts geben; ein Politiker, sagte sie, der müsse umgehen können mit Tratsch, und wo käme man denn hin, wenn man so was über gegenseitigen Nutzen stellte.
    Doch Kronhardt ereiferte sich. Er konnte den Wortlaut vom 175 er auswendig und brachte ihn bald zu jeder Gelegenheit. Er fand Gefallen an den Gerüchten, oder anders: war entschiedener Gegner der Homosexualität, und der Gedanke, jetzt noch mit den Leysieffers gesehen zu werden, machte ihn rasend. Und aus diesem Winkel heraus sah er plötzlich auch die immer kürzer werdenden Röcke und die im Grunde verlotternde Moral. Immerhin, meinte er nun, wenn ein Paar in der Öffentlichkeit knutschte, immerhin, da saß die Hacke noch am Stiel.
    Kronhardt setzte sich schließlich durch, und der Kontakt zu Leysieffers wurde abgebrochen.

18
    Schlosser hatte ein paar Extras an die Brennhexe gebracht. Tubus und Stativ kamen in zwei Röhren, und hinten war ein Gestell für eine Kiste. Den Auspuff hatte er verlängert, und wenn die Flammen spuckten, blieben sie meist gefangen. Manchmal machte die Brennhexe Bocksprünge, manchmal fiel die Beleuchtung aus, und Schlosser hängte die Karbidlampe ein. Aber sie hatte Lust zu laufen.
    Sie fuhren freitags mit der Dämmerung, auf den Schwingsätteln mit Windbrille und Wollmütze, wie zeitlose Reiter. Und so legten sie sich in die Kurven, und wenn der Raum da war, beschleunigte die Brennhexe. Dann duckten sie sich, drückten das Fleisch ins Eisen, der Kolben trieb unter dem Wind, und hinter sich zogen sie eine röhrende Spur; und wenn es Fehlzündung gab, schossen sie aus dem Knall wie eine wilde Reiterhorde.
    So nahmen sie die Kreuzung Martini- und Faulenstraße. Von der anderen Weserseite kam der Geruch der Bierbrauer und Kaffeeröster, und voraus drängten die Hafenanlagen wie ein Leuchtpilz gegen den Himmel. Schlosser nahm zwei Ampeln bei Rot, bald war der Kopfstein ausgeschlagen, und die Strecke stieg hoch bis unter den Schädel. Ladebäume standen in der Luft, Wummerschläge für den Tankerkönig, und Acetylenzungen und Lichtbögen zeichneten die frühe Nacht.
    Schlosser überholte einen Kadett, der stur fünfzig fuhr. Als der Kadett plötzlich Gas gab, tauchten die Jungs ab; ihre Körper verschmolzen im dröhnenden Ritt, bald waren die Auspuffflammen Rückstoß, und sie spürten die Stufen der Beschleunigung. Bei vollem Tempo nahmen sie einen Buckel, stiegen auf, und dann hatten sie den Kadett abgehängt.
    Im Europahafen sahen sie Türme und Förderbänder in den Becken aufblitzen, eine seltsam in die Tiefe geworfene Welt. Das Zollgitter erschien, die Streben und Stacheln ein Stakkato im Lichtkegel, und als sie den Kontrollpunkt passierten, sahen sie den uniformierten Kopf im Kabäuschen. Die Schranke war aufgerichtet, ein Spieß im Neonlicht, und durch Schluchten ging es weiter. Fabrikanlagen waren zerlegt, Raupenschlepper verpackt – rings kubistische Wände, und wenn die Brennhexe Fehlzündung machte, überlagerte sich der Knall in den Schluchten.
    Schauerleute zogen Bündel, in den Speicherhäusern wurde rund um die Uhr gestapelt oder rausgegeben, und als die Jungs im Überseehafen anlangten, schoben sie die Brillen hoch. Schlosser rollte eine Zigarette. Die Dampfer lagen nebeneinander zu Päckchen vertäut, die Bäuche mit der Welt gefüllt und die Umrißlinien wie von Abenteuern geschliffen.
    Der Motor lief nach einem Kick, und das Röhren zog sonor durch die Schluchten. Manchmal kläffte ein Schäferhund oder versprang

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